Urlaub schützt vor Strafe nicht
1. Merz’ symbolische Maßnahme
Trotz internationaler Kritik und immer lauterer Proteste auch im eigenen Land plant Israels Regierung, den Krieg im Gazastreifen auszuweiten. Nun reagiert die Bundesregierung auf die Pläne von Premier Benjamin Netanyahu – aber reagiert sie auch angemessen?
Deutschland zwischen Staatsräson und Völkerrecht: Seit Wochen wird debattiert, welche Signale nach Israel zu senden, welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind, statt nur immer müde zu mahnen. Sanktionen gegen Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner? Gar eine Anerkennung Palästinas?
Bundeskanzler Friedrich Merz hat nun angekündigt, alle Rüstungsexporte zu stoppen, die im Konfliktgebiet genutzt werden können. Israel habe das Recht, sich gegen die Hamas zu verteidigen, so Merz, die Terrororganisation dürfe in der Zukunft Gazas keine Rolle mehr spielen. Allerdings sei durch das angekündigte »noch härtere militärische Vorgehen der israelischen Armee« immer weniger ersichtlich, wie die Umsetzung dieses Ziels möglich sei, auch in Hinblick auf das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
Im Kern handelt es sich bei dem Beschluss um ein Waffenembargo, schreibt mein Kollege Matthias Gebauer, die Folgen für Israel dürften vorerst verschmerzbar sein. Schließlich liefert Berlin ausschließlich Ersatzteile für Waffensysteme, aber zum Beispiel keine Munition. Und doch sei die Maßnahme hochsymbolisch: Viele Staaten dürften Merz’ Verfügung als Zeichen einer deutschen Kurskorrektur verstehen.
Etlichen Politikern aus Koalition und Opposition ist dieser Kurs nicht scharf genug. Adis Ahmetović etwa, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bringt gegenüber dem SPIEGEL eine vollständige oder teilweise Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel ins Gespräch. Auch Sanktionen gegen israelische Minister dürften kein Tabu mehr sein.
Diskutieren Sie mit: Befürworten Sie den Stopp von Rüstungsgütern nach Israel?
Lesen Sie hier die Analyse zum Beschluss der Bundesregierung: Merz setzt auf symbolische Sanktion
Und hier ein Gastbeitrag zur Zukunft des Völkerrechts in Zeiten von Gaza- und Ukrainekrieg: Ist das Völkerrecht noch zu retten?
2. Sechseinhalb Wochen
Zur Ferienzeit mit der ganzen Familie zu verreisen, ist ein teurer Spaß. Unter Eltern – zumindest unter solchen, die sich einen entsprechenden Urlaub überhaupt leisten können – mit schulpflichtigen Kindern ist es eine Art Sport geworden, die Sommerferien nach eigenem Gutdünken zu strecken. Ein paar Tage früher raus aus der Schule, ein paar Tage später zurück – je nachdem, was die Flugbuchungsportale eben so ausspucken an günstigen Verbindungen.
Für die Schulbehörden wiederum ist es eine Art Sport geworden, die Schwänzer zu haschen: Mehrere Bundesländer melden einen Anstieg der Bußgeldverfahren wegen unerlaubter Verlängerung der Ferien. Allein in Hamburg wurden im vergangenen Jahr 303 Bußgeldverfahren eingeleitet, Eltern von Schulschwänzern müssen dabei im Schnitt 270 Euro berappen. Deutlich drastischer fallen die Strafen in Nordrhein-Westfalen aus: Wer dort direkt vor oder nach den Ferien unentschuldigt fehlt, muss mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 1000 Euro rechnen.
Ob Eltern das künftig ins Urlaubsbudget einpreisen?
3. Exzess in den Alpen
Ferienzeit bedeutet auch Hochsaison in den Alpen, der Ansturm auf Almen, Hütten und Gipfel hat begonnen. Doch die Kritik an den Tourismusexzessen wächst. In Bayern drängt ein Bündnis aus Politikern und Umweltverbänden darauf, die Bergwelt angesichts schmelzender Gletscher und erodierender Massive besser zu schützen. Und geschützt werden müssen auch die Urlauber, mitunter vor sich selbst.
Die Bergwachtorganisationen in Österreich und Italien berichten von Rekordzahlen an Todesfällen unter Wanderern in diesem Sommer. In den bayerischen Alpen geht die Saison erst richtig los. Klaus Burger von der Bergwacht Region Chiemgau rechnet nun mit steigenden Einsatzzahlen. Neben den üblichen Wander- und Kletterunfällen sowie medizinischen Notfällen mehren sich dabei Fälle von Selbstüberschätzung, wie Burger im SPIEGEL-Interview klagt. Unerfahrene Kletterer würden sich im steilen Gelände versteigen, liefen bis zum Anschlag und ohne Reserven weiter oder seien im Klettersteig überfordert bis zur Panikattacke. »Und manche meinen wohl, die Bergrettung sei so eine Art Alpen-Pannendienst«, so Burger.
Auch die sozialen Medien seien ein Faktor: »Oft n die Bilder nur eine heile Bergwelt wider, verheißen tolle Erlebnisse, aber blenden die Risiken aus«, erklärt Burger. »Darauf fallen eher die jüngeren, bergferneren Menschen rein.«
Lesen Sie hier das gesamte Interview: »Die Hilflosigkeit am Berg nimmt zu«
Was heute sonst noch wichtig ist
Chefarzt scheitert mit Klage gegen Abtreibungsverbot: Ein katholischer Krankenhausträger darf die Durchführung von Abtreibungen einschränken. Das hat das Arbeitsgericht in Hamm entschieden. Der klagende Gynäkologe erwägt nun, die nächste Instanz anzurufen.
Eine Ranch, viermal so groß wie New York City, zum Schnäppchenpreis: Falls Sie derzeit knapp 80 Millionen US-Dollar übrig haben und nicht wissen, wohin damit: Im US-Bundesstaat Wyoming steht eine riesige Ranch zum Verkauf. Sie wird als eine der letzten ihrer Art für »den modernen Viehbaron« angepriesen.
Polens Ministerpräsident Tusk sieht Chancen auf Pause im Ukrainekrieg: Eine Unterbrechung der Kampfhandlungen in der Ukraine könnte laut Polens Premier Tusk bevorstehen. Nach einem Treffen mit Präsident Selenskyj spricht er von »bestimmten Signalen«, die Hoffnung machen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Galatasaray Istanbul kauft sich den Traum von der Champions League: Meister Galatasaray sprengt in der Türkei alle Transfergrenzen. Stars wie Victor Osimhen und Leroy Sané sollen für eine europäische Wiedergeburt sorgen. Aber der Kader weist eine klare Schieflage auf.
Was heute weniger wichtig ist
Schicksal eines Stalkers: 14 Jahre ist es her, dass Rupert Grint in dem Musikvideo »Lego House« einen fanatischen Ed-Sheeran-Fan spielt, der am Ende von Sicherheitskräften abgeführt wird. Nun kommt dieser Fan in Sheerans neuesten Musikvideo zum Song »A Little More« aus dem Gefängnis frei – und ist noch immer von dem britischen Sänger besessen. Plötzlich sieht Grint überall Ed Sheeran: als Gefängniswärter, als Boxer im Fitnessstudio, selbst bei seiner Trauung wird er von dem Popbarden heimgesucht. Und ergibt sich schließlich seinem Schicksal. Sheeran selbst zeigt sich begeistert von dem Ergebnis: »Rupert, brother from another mother, danke, dass du dich so engagiert hast. Ohne dich hätte es das Video nicht gegeben.«
Mini-Hohl
Hier finden Sie den ganzen Hohl.
Cartoon des Tages
Und am Wochenende?
Tanztheater, man liebt es oder man lästert drüber. Wie der »Welt«-Kollege, der einmal klagte , er wäre lieber Kriegsreporter als Kritiker von Tanzproduktionen – da könne man wenigstens offen schreiben, wie schrecklich es wieder war. Ich wiederum darf mich glücklich schätzen, weder aus Kriegsgebieten noch aus Theatern berichten zu müssen. Und mich, in Zeiten wie diesen, den schönen Künsten einfach nur neugierig naiv hingeben zu können. Meine jährliche Dröhnung Tanz hole ich mir auf dem Sommerfestival der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel ab, das an diesem Wochenende mit der Deutschlandpremiere von Marlene Monteiro Freitas’ Stück »Nôt« startet. Die kapverdische Choreografin wird ab dem kommenden Jahr gemeinsam mit ihrer österreichischen Kollegin Florentina Holzinger, ebenfalls ein Star ihrer Szene, ebenfalls auf dem Sommerfestival dabei, die künstlerische Ausrichtung der Berliner Volksbühne verantworten. Einen Vorgeschmack gibt es dieser Tage in Hamburg zu sehen.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Florian Merkel, Chef vom Dienst
Niemandem verpflichtet außer Ihnen
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Kanzler Merz
Foto:Nadja Wohlleben / REUTERS
Check-in am Flughafen Hamburg
Foto: Marcus Brandt / dpaRettungsaktion der Bergwacht Reichenhall Hochstaufen im November 2022
Foto: Bergwacht Bad ReichenhallEx-Bayern-Star Sané, jetzt im Galatasaray-Trikot
Foto: Abdulhamid Hosbas / Anadolu Agency / IMAGOScreenshot aus Ed Sheerans neuestem Musikvideo zum Song »A Little More«
Foto:Ed Sheeran / YouTube
Aus der »Neuen Osnabrücker Zeitung«
Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Thomas Plaßmann
Marlene Monteiro Freitas’ Tanzproduktion »Nôt«, aktuell in Hamburg zu sehen
Foto:Fabian Hammerl / Studio Fabian Hammerl / Kampnagel