Nein, Jette Nietzard, Sie sind kein Opfer

Die Chefin der Grünen Jugend provozierte und verstärkte damit selbst die absurdesten Klischees über ihre Partei. Unter Verleugnung von Kausalzusammenhängen erklärte sie sich zur Verfolgten. Dabei liegt die Wahrheit in ihrer Erkenntnis, "dass ich am Ende zur Spaltung der Gesellschaft beitrage".

Nachwuchspolitiker sind bekannt dafür, sich um Kopf und Kragen zu reden. Doch wie es scheint, haben Vorsitzende der Grünen Jugend einen besonders starken Hang dazu. Im Frühjahr 2024, als die Ampel noch am Werkeln war, ließ Katharina Stolla, damals noch Chefin der Organisation, vor einem Millionenpublikum erkennen, dass sie keine Ahnung von ökonomischen Zusammenhängen hat, dafür aber wie zig andere Vertreter der Generation Z ein ausgeprägtes Anspruchsdenken. Sie zeigte Verständnis für junge Leute, die die Sinnfrage stellten: "Wofür soll ich mich in dieser kaputten Welt kaputt arbeiten" so ganz "ohne Aussicht" auf "eine sichere und gute Rente"?

Unternehmen werden von Stolla und ihresgleichen als Vehikel betrachtet, die Welt zu verbessern und nicht etwa Millionen Menschen in Lohn und Brot zu halten. Firmenlenker, die das anders sehen, werden verdammt. Sie schwärmte für die 30- oder sogar 20-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wer das Ganze bezahlen und wie Deutschland die fehlenden Steuermilliarden ausgleichen soll, erklärte Stolla in der Manier einer Traumtänzerin auf dem Weg nach Bullerbü. Ihr antikapitalistischer Plan lautete plakativ zusammengefasst: Steuern rauf, die bösen Reichen zur Kasse bitten und es an die guten Armen verteilen.

Es kam, wie es kommen musste

Stolla wurde für ihre Aussagen scharf kritisiert. Bald machte die Führung der Grünen drei Kreuze, als die linksradikale Nachwuchskraft gemeinsam mit ihrer Kollegin Svenja Appuhn vom Vorsitz der Jugendorganisation zurücktrat und den Parteiaustritt erklärte. Das war ehrlich und konsequent. Sie taten den Grünen damit einen Gefallen. Denn vor allem Stolla bestätigte das, was der Partei längst nicht mehr nur im rechten Lager vorgeworfen wird: abgehobene Realitätsferne und krasse Unkenntnis vom Leben der anderen.

Ihnen folgten Jette Nietzard und Jakob Blasel, ebenfalls Akteure am linken Rand. Die Führung der Grünen freute sich kurz über das Ende des Regens und landete in der Traufe. Insbesondere Nietzard machte sich daran, Stollas Werk zu vollenden und sämtliche Klischees über die Grünen zu bestätigen. Während die Zurückgetretene sich immerhin vor allem von ihren Überzeugungen, die Welt - jedenfalls aus ihrer Sicht - ein Stück besser zu machen, leiten ließ, ging es ihrer Nachfolgerin um: nichts. Oder maximal um Nebensächlichkeiten. Sie schien allein davon getrieben zu sein, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wobei unklar blieb, ob für "die Sache" oder nur für sich selbst.

In jedem Fall schaffte es Nietzard in kürzester Zeit, alle gängigen Narrative, die über die Grünen kursieren, zu verfestigen - da war Stolla ein Waisenmädchen dagegen. Kurz vor ihrer Ankündigung, im Oktober nicht wieder für den Vorsitz der Grünen Jugend zu kandidieren, formulierte Nietzard in einem Podcast von RBB und "Freitag" Gedanken über möglichen gewaltsamen Widerstand, falls die AfD 2029 an die Macht käme. "Ist der dann intellektuell, ist der dann vielleicht mit Waffen?" Da muss es niemanden wundern, wenn in rechten Kreisen immer wieder geraunt wird, der Faschismus sei heute nicht braun, sondern grün. Die Grünen sind keine faschistoide Partei, die Unterstellung ist absurd. Aber in ihren Reihen ist der Totalitarismus als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele nicht tabu, wie Nietzard bewies.

Die Frau schadete ihrer Partei, wie es nur ging. Für das Portal "Watson" schrieb Nietzard im März den Gastbeitrag "Bitches brauchen Gerechtigkeit". Sie verlangte von der Bundesregierung, mehr für Frauenrechte zu tun, was man auch so deuten konnte: Annalena Baerbock hat mit ihrer feministischen Außenpolitik genauso wenig erreicht wie die formal auch für Frauen zuständige Ex-Familienministerin Lisa Paus, ebenfalls eine Grüne. Zur von Union und SPD geplanten Mütterrente befand Nietzard über Frauen: "Wert sind wir nur etwas, wenn wir zur Reproduktion gedient haben." Was zu Putins Russland, aber nicht zur Bundesrepublik passt.

Frauen doof und Männer Arschlöcher?

Es folgte ein in eine Frage verpackter Aufruf zur lesbischen Liebe: "Warum sollten Frauen bei Männern in Heterobeziehungen bleiben, wenn sie 30 Prozent weniger zum Orgasmus kommen? Und warum sollte man eigentlich Kinder mit Männern bekommen, wenn drei von vier nach einer Trennung nicht mal den Mindestunterhalt zahlen?" Dahinter verbarg sich die Unterstellung, dass Frauen zu doof sind, den Richtigen zu finden, und Männer in der Regel verantwortungslose Arschlöcher sind. Das verwundert insofern, als gerade die Grünen permanent davor warnen, Menschen undifferenziert zu betrachten. Wenn es jemand wagt, Pauschalurteile gegen Flüchtlinge zu fällen, flippt die Grüne Jugend bekanntlich kollektiv aus.

Nietzard warb sogar dafür, bei Bedarf die Unschuldsvermutung, einen Eckpfeiler des Rechtsstaates, zu ignorieren. So geschehen in der Diskussion um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Stefan Gelbhaar, der unter extrem dubiosen Umständen aus den eigenen Reihen der sexuellen Belästigung beschuldigt worden war. Inzwischen wurde er von der Führung der Grünen rehabilitiert. "Es gilt als feministische Partei, Betroffenen zu glauben", sagte Nietzard, was hieß: Frauen lügen nie, Männer schon. Im "Fall" Gelbhaar war es in Wahrheit umgekehrt: Die Vorwürfe beruhten auf falschen Anschuldigungen einer Parteikollegin.

Ein Pauschalurteil fällte die scheidende Vorsitzende der Grünen Jugend auch über Polizisten, die sie zu Bastarden erklärte, als sie sich auf ihrem Instagram-Kanal mit einem Pullover zeigte, auf dem "ACAB" zu lesen war. Das Kürzel steht für "All Cops Are Bastards". Eine Steilvorlage: Niemand macht(e) es den politischen Gegnern der Grünen so leicht, die Partei mit Bösartigkeiten aller Art zu überziehen nach dem Motto: Seht ihr, so sind die!

Nietzard begründete ihren Hang zur Zuspitzung und Brüskierung damit, "Aufmerksamkeit auf linke Themen und Ungerechtigkeit zu lenken", was aber nicht ansatzweise gelang, wie gerade ihre "Orgasmus"-Aussage belegte. Sie schob mit ihrem Gastkommentar bei "Watson" keine Debatte über Frauenrechte und die Rückkehr zu einem kruden Frauenbild der Fünfziger- und Sechzigerjahre an. Geredet wurde über ihre offenkundige Abneigung gegen alles Männliche und ihre Empfehlung an ihr Geschlecht, Sex mit Frauen dem mit Kerlen vorzuziehen.

Und am Ende schaffte sie es auch noch, unter Verleugnung von Kausalzusammenhängen die Opferrolle einzunehmen. Nietzard erklärte sich zur Verfolgten eines innerparteilichen Ränkespiels, der die Solidarität verweigert worden sei. "Mal wurde ich in Fraktionssitzungen ausgebuht, mal wurde ich von Realo-Spitzenpersonal angeschrien", sagte sie in ihrem Abschiedsvideo. "Bei ständigen Anfeindungen kann keine gute Politik entstehen. Und wenn die Parteispitze es nicht schafft, dass diese Anfeindungen enden, dann ziehe ich eben die Konsequenzen", verkündete sie - nicht frei von Hybris - unter Verweis auf Kritik selbst aus dem Bundesvorstand der Grünen.

Dem "Stern" hatte Nietzard vor Kurzem gesagt: "Vielleicht ist es so, dass ich am Ende zur Spaltung der Gesellschaft beitrage." Das "vielleicht" kann getrost gestrichen werden. Wer permanent andere vor den Kopf stößt, mit dem ist kein Staat zu machen. Noch nicht mal grüne Politik. Und deshalb ist es gut, dass sie abtritt. Freilich will die Nervensäge Mitglied der Grünen bleiben. "Ich verspreche auch, die linke Stimme zu bleiben. Denn wenn ein Feld sich verengt, dann räumt man es nicht, sondern man gräbt es auf links um." Die Drohung sollten die Grünen ernst nehmen.

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