Was mit dem Radsport passiert, wenn ein Mann zu überlegen ist
Jonas Vingegaard hat zweimal die Tour de France gewonnen, in diesem Jahr triumphierte der Däne bei der Spanienrundfahrt. Er ist unbestritten einer der besten Radprofis der Welt.
Am Sonntag bei der Europameisterschaft im Straßenrennen stieg er vorzeitig vom Rad und gab auf. Nicht infolge eines Sturzes, nicht wegen Erschöpfung. Er kapitulierte. Vor seinem Konkurrenten Tadej Pogačar.
101 Profis gingen bei diesem Rennen an den Start, nur 17 kamen ins Ziel und in die Wertung. Weil Pogačar vorn so unwiderstehlich allein vor allen anderen herfuhr, waren die Rivalen frustriert. 75 Kilometer Alleinfahrt bis ins Ziel legte der Slowene hin. Normalerweise ist das Irrsinn, so weit vor dem Ziel schon die Solofahrt zu probieren, ein Unternehmen, das oft zum Scheitern verurteilt ist. Pogačar tat es trotzdem.
Ein Akt der Vernunft?
Was macht es mit einem Sport, wenn einer so überlegen ist? Man kann es als Zeichen der Bewunderung interpretieren, wenn Vingegaard und Andere einfach aufstecken, nicht mehr ins Ziel kommen. Man kann es auch als Akt der Vernunft ansehen, mit den eigenen Kräften am Ende einer anstrengenden Saison zu haushalten. Aber: Erweist man dem Sieger nicht auch seine Reverenz, wenn man trotzdem weiterfährt und dann eben mit zehn Minuten Rückstand auf ihn die Ziellinie überquert?
Die Niederlage gehört zum Sport dazu. Auch das Anerkennen der Niederlage. Vorzeitig aufzugeben in der Einsicht, dass man ja doch nicht gewinnen könne, ist allerdings etwas anderes. Man nimmt dem Gewinner einen Teil seines Sieges. Indem man sich aus der Niederlage wegstiehlt.
Abgesehen davon, dass man dem Publikum im Ziel die Chance nimmt, auch den Verlierern zu applaudieren. Es ist eine Frage des Respekts.
Frustrierter Herausforderer Vingegaard
Foto: David Pintens / Belga / IMAGO