War Neuer schuld an Bayerns Niederlage bei Arsenal?
Manuel Neuer hatte sich verschätzt. Der lange Ball, der in seine Richtung unterwegs war und der ihm entgegen sprintende Gegenspieler, Neuer dachte, er würde sie rechtzeitig erreichen. Doch das entpuppte sich als Fehlkalkulation.
Der FC Bayern verlor das Spiel, und hinterher attestierten dem Torwart viele einen schweren Fehler. Und manche überlegten, ob der routinierte Neuer seinen Zenit nicht allmählich überschritten habe.
Das war vor fast genau einem Jahr, beim 0:1 der Bayern im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen. Neuer kompensierte seinen Fehler mit einem Foul an Jeremie Frimpong, dafür sah er die Rote Karte.
Am Mittwochabend unterlagen die Bayern in der Champions League beim FC Arsenal 1:3. Wieder wird über Manuel Neuer debattiert. Vor allem aufgrund des dritten Londoner Treffers. Da verließ Neuer seinen Strafraum, preschte weit vor ins Mittelfeld, weil er dachte, er würde den Ball rechtzeitig erreichen, um einen Arsenal-Konter zu unterbinden. Doch Neuer hatte sich verschätzt, Gabriel Martinelli legte sich den Ball am Torhüter vorbei und entschied das Spiel.
Vorher, beim 0:1, hatte Neuer den Ball bei einer Ecke nicht erreicht. Das wirkte unglücklich, lag aber auch daran, dass er kurz zuvor von einem Londoner Spieler geblockt wurde.
Fehler in Berlin, Unentschlossenheit gegen Freiburg
War Neuer schuld an dieser Münchner Niederlage? Steckt er möglicherweise in einer Krise? Immerhin scheinen sich die Fehler zu häufen: Beim 2:2 bei Union Berlin Anfang November ließ Neuer einen harmlosen Schuss durchrutschen, hinterher sagte er, dass er »die falsche Entscheidung getroffen« habe. Neuer wollte den Ball festhalten, statt ihn zur Seite zu lenken. Und am vergangenen Wochenende wirkte er vor dem zweiten Freiburger Treffer in München unentschlossen .
Könnte es sogar sein, dass Neuer allmählich abbaut? Im März wird er 40, sein Vertrag in München läuft im Sommer aus. Ob er weitermacht, ist nicht entschieden. Eine starke Saison würde nicht bloß die Wahrscheinlichkeit einer Verlängerung erhöhen, sondern auch die auf eine WM-Teilnahme im kommenden Jahr. Ganz vom Tisch schien diese zuletzt nicht, trotz Neuers offiziellem Rückzug aus dem DFB-Team. Aber dafür müsste Neuer halten wie Neuer. Tut er das?
Schon vor einem Jahr, rund um den Fehler gegen Leverkusen, hieß es, dass Neuer mit zunehmendem Alter zu langsam geworden sei für sein aktives Torwartspiel, das von Ausflügen ins Mittelfeld geprägt ist. Denn auch in manch anderem Spiel hatte er sich offenbar verkalkuliert, etwa beim 0:1 bei Aston Villa.
Wenn die Bayern eine Schwachstelle hätten, sagte damals TV-Experte Didi Hamann, dann heiße sie Manuel Neuer.
»Das war nicht notwendig«, urteilte DAZN-Experte und Ex-Nationalspieler Michael Ballack am Mittwoch über Neuers Ausflug vor dem 1:3. »Manuel trifft da eine falsche Entscheidung. Wenn er auf den Ball geht, muss er ihn haben, das weiß er selber.« Die »Bild«-Zeitung schreibt von einem »Pannen-Auftritt« .
Zu diesem 3:1 äußerte sich auch Neuer am Abend in London.
In Rückstand liegend sei es einfach so, dass man ins Risiko gehen müsse, sagte er. Deshalb war die Bayern-Elf in dem Moment vor dem Gegentor weit aufgerückt und wurde dann ausgekontert. Es kam zu einem Laufduell zwischen Arsenals Martinelli und Bayerns Joshua Kimmich.
»Ich habe versucht, das vorher zu beseitigen«
»Ich sag’ mal, dass er schneller ist als Jo«, sagte Neuer, »das war mir schon klar, ich habe versucht, das vorher zu beseitigen.« Martinelli ist tatsächlich schneller als Jo Kimmich, derart, dass er dem Münchner Mittelfeldchef schon auf den ersten Sekunden mehrere Meter abnahm. Deshalb war Neuers grundsätzliche Entscheidung, aus dem Tor zu eilen, getroffen in Sekundenbruchteilen, keine falsche. Hätte Martinelli es nicht geschafft, den Ball im Vollsprint mit dem Oberschenkel an Neuer vorbeizulegen, wäre dessen Rettungsversuch wohl erfolgreich gewesen.
Er wisse, dass er großes Risiko gegangen sei, sagte Neuer. Das klang, als würde er es wieder tun. Als wäre nicht die Entscheidung falsch, sondern allenfalls das Timing.
Großes Risiko ging Neuer in seiner Karriere oft, auch als jüngerer Torwart. Und schon immer unterliefen ihm dabei ab und an Fehler. Beim WM-Endspiel 2014 gegen Argentinien zum Beispiel, als Neuer Glück hatte, dass sein Foul gegen Gonzalo Higuaín folgenlos blieb.
Aber echte Krisen wurden daraus eigentlich nie. Neuer schüttelte sie ab und hielt auf Topniveau. Auch das zeichnet seine besondere Karriere aus.
Als Neuer vor einem Jahr die Fehler gegen Leverkusen und Aston Villa unterliefen, beendete er die Debatten über sich selbst, indem er in den darauffolgenden Monaten tadellos und oft brillant hielt. Auch in dieser Saison zeigte er spektakuläre Leistungen, wenn sie nötig waren, etwa beim 2:1-Erfolg in Paris. Diskussionen darüber, ob er zu langsam sei, führte niemand mehr.
»Zu 99,9 Prozent trifft er die richtigen Entscheidungen«, sagte Kimmich einmal über seinen Torwart. Das mag übertrieben sein. Aber deutlich niedriger liegt Neuers Quote auch in dieser Saison bislang nicht.