Dieser Stillstand will uns etwas sagen

Dieser Tage ist mir etwas aufgefallen, und es passt auch seltsam klischeehaft zur Weihnachtszeit: Die politischen Umfragen stehen still. Ja, die Regierung rotiert, die Opposition wettert, und die Rechts-außen-Portale ersticken fast an ihrer Wut. Trump, Putin, der Krieg, die Krise, alles großer Mist. Aber die Parteien stehen in den Umfragen still, als wäre seit Monaten nur Ruhe über allem. »Bullshit«, »Stadtbild«, Rentenstreit und Haushaltsnot, Bürgergeld oder die Wehrpflicht per Los. Merz, Bas, Spahn, Weidel, Wagenknecht, immerfort, nur Christian Lindner ist weg. Doch die Parteienwerte bewegen sich so gut wie gar nicht und das seit Sommer.

Jede Woche, die der Herr werden lässt, erstellt Forsa für RTL und n-tv eine »Sonntagsfrage« nach den »Parteipräferenzen« für die Bundestagswahl. Im August wies die Umfrage ein Ergebnis aus, das sich bei CDU/CSU, SPD, BSW sowie Linken seitdem bis heute nur um jeweils einen einzigen Prozentpunkt verändert hat – und bei AfD, Grünen oder FDP nicht einmal das, nämlich überhaupt nicht. Was immer die Leute kratzen mag oder nicht, ihre Gunstverteilung zwischen den Parteien halten sie seit dem Sommer nahezu stabil.

Man könnte mithin sagen: Deutschland und die Welt hetzen von Einschlag zu Einschlag, alles wackelt und wankt und steht infrage, diesen Montag ist es das Schicksal der Ukraine, letzte Woche war es die US-europäische Bruderschaft, weil die MAGA-Maniacs Putin Zucker geben wollen, der AfD die Ehre und ihren Big-Tech-Kumpeln das Datengold der Europäer. Doch bis auf einen kurzen, heftigen Ausschlag im Frühjahr, als CDU/CSU und SPD je drei Punkte von ihren Wahlergebnissen einbüßten, hat sich nahezu nichts getan.

Soweit ich mich erinnern kann, hat es so etwas nach einer Wahl das letzte Mal 2013/14 gegeben. Damals blieben die Parteien monatelang auf den Ergebniswerten der Bundestagswahl, und ich schrieb darüber einen Text im SPIEGEL. »Bitte nicht stören«  hieß er.

Die Zustimmungswerte unter Angela Merkels zweiter Großen Koalition erreichten sage und schreibe 80 Prozent, die »alles in allem« »sehr« oder »eher zufrieden« mit dem »Zustand unseres Landes« waren. 80 Prozent, unglaublich: die saturierte Stabilität einer Gesellschaft, welche die große Finanzkrise hinter sich gelassen und das Versprechen eingelöst hatte, das die Kanzlerin damals gab: Deutschland komme stärker aus der Finanz- und Wirtschaftskrise heraus, als wir hineingegangen sind. Die Flüchtlingskrise baute sich zwar schon auf, sträflich vernachlässigt auch von Merkel, aber sie schlug erst später durch. Putin machte sich zwar schon daran, die Krim zu kassieren, aber es schien so weit weg.

Wenn es damals vermutlich also die Ruhe war, die für Ruhe sorgte, dann muss es heute definitiv etwas anders sein: ruhig ist es ja nun wirklich nicht, angesichts all der Krisen und existenziellen Bedrohungen. An Aufmerksamkeitserlahmung kann es auch nicht liegen, da die (ebenfalls abgefragten) »wichtigsten Themen« der Woche oft wechseln. In den vergangenen 14 Tagen zum Beispiel schoss die »Rentendiskussion« aus dem Nichts auf Platz zwei. Unter den fünf ersten Plätzen standen seit dem Sommer aber auch schon die »US-Politik«, der »Krieg in der Ukraine«, »Bundeswehr« oder »Bundesregierung«, »Umwelt, Klima«, »Zuwanderung« und natürlich die »ökonomische Lage«.

Was will die Stille uns dann sagen? Es könnte sein, dass die Leute abgeschlossen haben mit der Politik, dass sie frustriert und fertig sind, nicht mehr erreichbar: nicht für gute Nachrichten, aber auch nicht mehr für schlechte. Dann könnten zuvorderst die Regierungsparteien einpacken, weil das immerzu beschworene »Gute Regieren« kein neues Vertrauen, keine höhere Zustimmung mehr generieren könnte.

Es könnte aber auch sein, dass die Leute alles in allem klüger sind. In dieser Lesart der stillstehenden Umfragewerte lassen sich die Befragten nicht von Regierungsstreitigkeiten beeindrucken (zumindest nicht über den im Frühsommer erreichten Tiefpunkt hinaus). Sie lassen sich auch nicht von den seither gemachten Ankündigungen des Kanzlers oder seinen Ausrutschern bewegen, aber eben auch nicht von der ganzen blauen Wut, die Tag für Tag hochprofessionell durch die sozialen Medien ballert.

Und wenn es so wäre, dass die Leute einfach einmal in Ruhe abwarten, bevor sie sich nach ihrem negativen Erstvotum über Wortbruch und falsches Erwartungsmanagement neu oder anders entscheiden? Wenn sie nun erst einmal auf eine mögliche Wirkung warten wollten, die bei vielen Beschlüssen oder Gesetzen ja noch gar nicht eintreten konnte in der Kürze der Zeit? Dann wäre die Stille der Umfragen möglicherweise eine Verheißung wie Weihnachten selbst. Man merkt: Der konsensfrohe Konservative lässt diese Hoffnung nicht fahren, erst recht nicht vor Weihnachten. Da will man ja mit aller Macht ans Gute glauben und vor allem: an ein gutes Ende.

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