Demokratiezersetzung als Billiglohn-Job

Der »QAnon Influencer« und »Q Exam« sind noch da. Beide sind große Fans von Donald Trump und erklären immerzu, dass jetzt demnächst aber wirklich etwas ganz Großes passiert. Immer steht eine riesige Verhaftungswelle kurz bevor, mit der die vermeintliche globale Verschwörung von Kinderschändern endlich ausgehoben wird. Im QAnon-Universum ist Donald Trump der Messias, der gequälte Kinder retten wird.

Der »QAnon Influencer« und sein Bruder im Geiste »Q Exam« sind auch ganz begeistert von einer zwielichtigen Online-Geldbörse für Kryptowährungen wie Bitcoin.

Beide operieren augenscheinlich von Afrika aus, was X diese Woche öffentlich machte, möglicherweise ohne die Folgen zu bedenken. Ihre X-Posts stammen von Telefonen, auf denen eine afrikanische Android-App läuft.

Kurz weg, jetzt wieder da

Manche der Fake-Accounts aus afrikanischen Ländern, Osteuropa oder Süd- und Südostasien, die X diese Woche womöglich versehentlich enttarnte, sind mittlerweile gelöscht. »@America_First0« zum Beispiel, betrieben von Bangladesch aus, und am Montag dieser Woche noch eifrig damit beschäftigt, mit Pro-Trump-Content »das Gute voranzutreiben und dem Bösen zu widerstehen«.

Der Account hatte über 60.000 Follower. Auch »@IvankaTrumpNews« mit einer Million Follower, offenbar von Nigeria aus betrieben, ist mittlerweile weg. »@Ivankanews22«, »@Ivankatrump2762« und »@IvankaNews« sind hingegen noch da, mit sehr ähnlichen Inhalten, aber nur zwei- bis dreistelligen Followerzahlen.

»@_MagaScope« war ebenfalls kurz weg und ist jetzt wieder da – im Moment nur noch mit 145 Followern, nicht mehr mit über 51.000. Der Account war und ist über den nigerianischen App-Store mit X verbunden, mittlerweile allerdings angeblich »in den Niederlanden« beheimatet. X weist darauf hin, dass diese Standortangabe mit einem VPN-Tunnel simuliert sein könnte, mit dem man seine tatsächliche IP-Adresse verschleiern kann.

Pseudopatriotische Scammer

Für die amerikanische Rechte auf X war diese Woche keine gute Woche , denn es wurde klar, dass bedeutsame Teile der vermeintlich engagiertesten MAGA-Freunde in Wahrheit Spammer oder Scammer sind, die irgendwo anders auf der Welt zu Hause sind.

Manche betreiben Bauernfängerei wie »QAnonInfluencer« und »Q Exam«. Solche Accounts versuchen, Leichtgläubige, die sich online mit verschwörungstheoretischem Content versorgen, mit Krypto-Betrugsmaschen auszunehmen. Vor der digitalen Börse, für die beide werben, wird in Fachforen gewarnt.

Auch manche der »Ivanka Trump«-Accounts dienen augenscheinlich dem Zweck, Kundschaft für Krypto-Betrugsmaschen anzulocken. Die Begeisterung des Trump-Clans für die Welt des digitalen Geldes hilft den Betrügern zweifellos.

Andere verbreiten einfach ununterbrochen Pro-Trump-Propaganda. Sie reposten Inhalte von Fox News, dem Weißen Haus oder anderen mit der echten MAGA-Bewegung assoziierten Kanälen – und werden dafür gelegentlich belohnt: So postete Trump selbst auf seiner eigenen Plattform »TruthSocial« den Screenshot  eines Accounts namens »Fan Trump Army«, der mittlerweile auch offiziell von »einem Inder, der Präsident Trump, Amerika, Musk liebt!« betrieben wird. Gut möglich, dass der Betreiber die Reichweite zu Geld macht, die ihm gutgläubige Trump-Fans und andere Fake-Accounts verschafft haben.

All die vermutlich eher kommerziell motivierten Pseudo-MAGA und Pseudo-QAnon-Accounts sind Symptome für ein altes und augenscheinlich weiterhin ungelöstes Riesenproblem der Social-Media-Landschaft: Wesentliche Teile dessen, was dort passiert, sind in Wahrheit Fälschungen.

Prostitution statt Liebe

Neu ist das Phänomen nicht: Es existierte schon im prä-sozialen WWW, damals generierten Klickfarmen Werbeerlöse mit gefälschter Interaktion.

2013 berichtete der britische »Guardian«,  wie Niedriglohnarbeiter in solchen Klickfarmen »online-Beliebtheit simulieren«. 2016 porträtierte die Filmemacherin Laura Poitras (»Citizen Four«) in einer knapp zehnminütigen Kurzdoku  Klickworker in Bangladesch, oft gut ausgebildete junge Männer, die eigentlich gern Arzt oder Ingenieur werden wollten. Nun klicken sie für Geld auf Like-Buttons. Facebook behandle den Like wie ein Zeichen von Liebe, sagte einer, der dort damals arbeitete, »und der intelligente Vermarkter behandelt ihn wie Prostitution«.

Im Zusammenhang mit dem US-Wahlkampf, an dessen Ende Donald Trump 2016 zum Präsidenten gewählt wurde, deckte »BuzzFeed«  auf, dass von einem mazedonischen Dorf aus über 100 Websites betrieben worden sind, die mit reichlich Desinformation für Donald Trump warben. Später zeigte sich: Es gab Verbindungen zu Propaganda-Unternehmern aus den USA , möglicherweise auch nach Russland.

Propaganda ist billig zu haben

2020 waren die Mazedonier erneut aktiv: Auch im damaligen US-Wahlkampf gaben sie sich als »konservative« US-Medienanbieter aus , die massenweise Desinformation in die sozialen Medien pumpten, um damit Nutzer anzulocken und über Anzeigenvermarktung Geld zu verdienen. Möglicherweise floss aber auch Geld aus den USA. In vielen Teilen der Welt ist Propaganda extrem billig zu haben.

Eine Schlüsselrolle als Vermittler spielte damals wohl ein Anwalt aus Skopje . Involviert war offenbar auch ein Mann, der 2018 in Nevada für ein Abgeordnetenmandat kandidierte  – natürlich für die Republikaner (er verlor). Er ist bei Weitem nicht der einzige derartige Propaganda-Unternehmer in den USA .

Es wird immer schlimmer

Die konzertierte, kommerziell orientierte Desinformation hat seitdem nicht ab-, sondern eher zugenommen. Es gibt mehr Social-Media-Plattformen mit hoher Nutzung (TikTok existierte 2016 noch gar nicht in seiner heutigen Form), die russische Propagandamaschinerie läuft spätestens seit dem Angriff auf Kyjiw im Februar 2022 auf Hochtouren, und mindestens bei X ist insbesondere rechtsradikale und rechtsextreme Propaganda seit der Übernahme durch Elon Musk immer weiter eskaliert.

Früher wurden Likes, etwa aus Bangladesch, noch für so harmlose Dinge wie gefälschtes Produktinteresse verkauft – die Plattformen von damals, bei denen man beispielsweise »200 Follower für 7,95 $« oder »100 Likes für 4,95 $« kaufen kann, sind übrigens immer noch online. Heute wird das Geschäft aber augenscheinlich maßgeblich mit Angriffen auf die Fundamente demokratischer Gesellschaften gemacht, mit bezahlter Billiglohn-Propaganda einerseits und politisch verbrämtem Trickbetrug andererseits.

Ein neues Berufsbild ist entstanden

Die globalen Einkommensunterschiede in Verbindung mit Arbeiten im Digitalen von überall haben ein neues Berufsbild hervorgebracht: Demokratiezersetzung als Kleinunternehmer-Service, aus rein kommerzieller, unpolitischer Motivation heraus.

Die Plattformen wiederum tun gegen diese Art von Aktivität augenscheinlich weiterhin wenig. Selbstverständlich wäre es X auch schon vorher möglich gewesen, zu erkennen, welche vermeintlichen MAGA-Accounts in Wahrheit aus Nigeria, Bangladesch oder Osteuropa betrieben werden. Von automatisierten Accounts, Bots also, ganz zu schweigen.

Zweifellos ist auch bei Facebook, Instagram und TikTok eine gigantische Menge von Inhalten und vermeintlich authentischen Likes und Kommentaren in Wahrheit der Output solcher grenzüberschreitender Propagandanetzwerke. Für das Geschäftsmodell der Plattformen – Aufmerksamkeit ernten, verpacken und an Werbekunden verkaufen – ist es gleichgültig, ob diese Aufmerksamkeit von echten Menschen, von Fake-Accounts oder gar von Bots stammt.

Meta mauert, X schweigt ganz

Werbekunden dürften das wohl anders sehen – haben aber wenig Möglichkeiten, hinter die Kulissen der Aufmerksamkeitshändler zu blicken.

Zwar gibt Meta quartalsweise »Transparenzberichte« heraus und beteuert beispielsweise: »Unser Ziel ist es, so viele Fake-Accounts auf Facebook zu löschen, wie wir können.« Doch die praktische Erfahrung vieler Nutzerinnen und Nutzer mit Klonen ihrer eigenen Accounts bei Instagram zeigt: Manchmal wird gelöscht, manchmal nicht.

Facebook gibt an , über 99 Prozent der gelöschten Fake-Accounts selbst zu entdecken, bevor sie überhaupt von echten Nutzenden gemeldet wurden. Diese Plattform spielt bei jüngeren Nutzerinnen und Nutzern in der westlichen Welt jedoch kaum noch eine Rolle.

Für Instagram erklärt Meta in seinem Transparenzbericht, man könne weder die Zahl der Fake-Accounts angeben noch die Zahl derer, die man proaktiv gelöscht habe. Man arbeite aber daran.

Die EU darf nicht klein beigeben

Bei X ist die Situation erwartungsgemäß noch schlechter: Der jüngste, nach dem europäischen Digital Services Act eigentlich verpflichtende Transparenzbericht des Unternehmens ist über ein Jahr alt . Der jüngste globale Transparenzbericht  ist noch ein paar Monate älter.

Er enthält einen angesichts der sichtbaren Fakten unfreiwillig komisch anmutenden Satz »Bei X ist Authentizität entscheidend«.

Die Regierung Trump versucht gerade mit extremem Druck , Europa dazu zu bringen, die eigenen Regeln für digitale Plattformen zu lockern. Die Propagandaschleudern aus dem Silicon Valley sollen möglichst unreguliert und unkontrolliert weiter zur Zersetzung demokratischer Gesellschaften eingesetzt werden können, Handelsminister Howard Lutnick droht andernfalls mit neuen Zöllen etwa auf Stahl und Aluminium.

Die EU sollte sich hier keinesfalls erpressen lassen. Was in den sozialen Medien derzeit passiert, ist weder harmlos noch irrelevant. Unsere Gesellschaften werden angegriffen, für kleines Geld und Bauernfängerei.

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