Leitfigur abzugeben, Themen dringend gesucht
Dass es nicht einfach wird für das BSW, zeigt sich wenige Minute vor Beginn des Parteitags. Während draußen viele Delegierte immer noch in der Einlassschlange stehen, haben Katja Wolf und Steffen Schütz bereits ihre Thüringer Delegierten um sich geschart. In einer stillen Ecke der Tagungshalle schwören sie ihre Truppe auf den Tag ein, besprechen den Ablauf, sprechen sich Mut zu. »Wenn irgendwas ist«, sagt Wolf zum Abschluss, »schreibt in die Signal-Gruppe!«
Absprachen in kleiner Runde, oder im Messengerdienst. Besser vorsichtig sein. Denn im Rest der Partei mögen längst nicht alle, was Wolf und Schütz machen. Beide sind in Thüringen an einer Regierung mit CDU und SPD beteiligt, als Finanzministerin und als Digitalminister, haben für die Möglichkeit zu regieren Kompromisse gemacht. Oder auch: BSW-Positionen verraten, wie es andere auf dem Parteitag nennen. Als »Thüringer Weg« wird das bezeichnet, es ist nicht als Kompliment gemeint .
Buhrufe, Anschuldigungen, verweigerter Applaus
Im Laufe des Parteitags wird der »Thüringer Weg« noch für weitere Anschuldigungen, Buhrufe, Versöhnungsreden, verweigerten Applaus sorgen. Und deutlich machen: Es wird nicht einfach für das BSW, jetzt, wo die Parteigründerin Sahra Wagenknecht ihren schrittweisen Rückzug begonnen hat.
Wagenknecht sagte es selbst. Man sei in der »schwierigsten Phase seit Parteigründung«, gestand sie in ihrer Parteitagsrede ein. Fehler wurden gemacht, Mitglieder zu zaghaft aufgenommen, zu wenig auf Expertise in den eigenen Reihen geschaut, zu sehr innerhalb der Parteispitze geklüngelt. »Es entstand der Eindruck eines abgeschotteten Vereins, in der Türsteher nur ihre Best Friends aufnehmen.« Mittlerweile hat das BSW11.000 Mitglieder, mehr als 6000 unbeantwortete Mitgliedsanträge liegen aber noch in den Schubladen. Viele einst euphorische Unterstützende haben das Projekt wieder verlassen. Auf dem Parteitag werfen Delegierte dem Präsidium »krasse Fehler« vor.
Rasche Erfolge, haarscharfe Niederlage
Keine zwei Jahre ist Wagenknechts Projekt alt. 2024 erlebte das BSW rasche Erfolge, zog ins Europaparlament, holte aus dem Stand zweistellige Wahlergebnisse in Brandenburg, Thüringen, Sachsen. An zwei Landesregierungen ist das Bündnis beteiligt. Dann scheiterte das BSW haarscharf an der Bundestagswahl und kämpft seither gegen den Bedeutungsverlust. 2026 stehen mehrere Landtagswahlen an, vor allem in Sachsen-Anhalt hofft das BSW auf Erfolge. Der Tagungsort Magdeburg ist kaum Zufall.
In dieser Phase schmeißt Wagenknecht nun hin. Sie wird nun nur noch Leiterin einer neu gegründeten Grundwertekommission sein, den Parteivorsitz gab sie ab. Die nach ihr benannte Partei behält zudem nur noch das Kürzel, statt »Bündnis Sahra Wagenknecht« heißt das BSW künftig »Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft«.
Neue Führung, neuer Name – aber folgt ein neuer Weg? Im BSW sind mehrere Richtungskämpfe entbrannt: in der Frage, wie viel Nähe zur AfD man zulässt, ob Regieren, wie in Thüringen und Brandenburg, das Ziel oder der Untergang ist und ob man, außer »Friedenspartei« zu sein, eigentlich noch mehr zu bieten hat.
»Immer nur ein, zwei Themen, die sie setzen können«
Beim BSW ist man sich der Tatsache schmerzlich bewusst. »Uns fehlt die Bühne des Bundestags«, sagt Fabio De Masi dem SPIEGEL. Als außerparlamentarische Opposition, »da haben sie als Partei immer nur ein, zwei Themen, die sie setzen können«. Man müsse alles dafür tun, mit mehr Themen in die Öffentlichkeit zu kommen, bei der Rente, der Infrastruktur, der Schuldenbremse etwa.
Der EU-Abgeordnete De Masi wird das BSW künftig mit Amira Mohamed Ali anführen. Auf dem Parteitag wurde er mit großer Mehrheit als Wagenknechts Nachfolger ins Amt gewählt. Zuletzt war es aber nicht eine höhere Rente oder die Schuldenbremse, für die er trommelte. De Masi gilt als Kopf der Neuauszählungskampagne, mit der die Partei hofft, doch noch in den Bundestag nachrücken zu können.
Die Partei wittert Zählfehler, fühlt sich um Stimmen betrogen. Mehr zu den Chancen auf die Neuauszählung lesen Sie hier .
Wie viel von der Kampagne abhängt, wird in Magdeburg immer wieder sichtbar. Der Einspieler zum Auftakt? Insinuiert Wahlbetrug. Die Reden des Vorstands? Nennen Bundeskanzler Friedrich Merz einen »Wahlbetrüger«, warnen vom Ende der Demokratie in Deutschland. »Neuauszählung jetzt – keine Bananenrepublik«, steht auf Bannern.
Lästern über »Kanzler Gernegroß«
»Mit mir in der deutschen Politik werden sie noch sehr lange rechnen müssen«, ruft Wagenknecht an die »Altparteien« gerichtet. Sie wähnt sich schon als baldige BSW-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Auch der neu gewählte Generalsekretär Oliver Ruhnert glaubt fest daran, im kommenden Jahr doch noch Bundestagsabgeordneter zu werden. Seinen Job als Manager beim FC Union Berlin hat er bereits gekündigt.
Aber was könnten die neuen Themen sein, wofür man das BSW im Bundestag braucht? Der Ton beim BSW bleibt populistisch, der Inhalt militaristisch. Es wird über die »Latte-Macchiato-Militaristen« der Grünen gelästert, Merz als »Kanzler Gernegroß« beschimpft. Redebeiträge, die ein Ende der Brandmauer gegen die AfD fordern, finden starken Applaus. Und als im Leitantrag die Wiedereinführung der Wehrpflicht als »Russisch Roulette« mit dem Leben umschrieben wird, plädieren Delegierte darauf, die Formulierung zu streichen. Der Ausdruck »Russisch Roulette« enthalte »eine negative Konnotation im Hinblick auf Russland«. Der Antrag wird angenommen.
»Wir haben die Brot- und Butterthemen links liegen lassen, oder gar rechts«, sagt die Ex-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen dem SPIEGEL. Es gebe eine Verengung auf die Friedenspolitik, viel mehr müsse das BSW künftig mehr über Bildung oder Infrastruktur reden.
Konfliktdelegation Thüringen
Fraglich, ob Wagenknecht als Leiter ihrer Grundwertekommission andere Töne setzen wird. Fraglich auch, ob die neue Parteiführung in der Lage ist, der strauchelnde Partei Strahlkraft zu verleihen. Wagenknecht wird dem neuen Präsidium zwar weiterhin beiwohnen, aber nicht mehr den gleichen Einfluss wie zuvor haben.
Und Thüringen?
Wolf und Schütz wurden in Magdeburg schmallippiger, je länger der Parteitag ging. Immer wieder werden die Thüringer für ihren Sonderweg kritisiert. In Thüringen hatten bei der Landtagswahl im September des vergangenen Jahres 15,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler dem BSW ihre Stimmen gegeben, bei der Bundestagswahl waren es 9,4 Prozent der Zweitstimmen. Den Stimmverlust sehen viele als Beweis dafür, dass das BSW für seine Regierungsbeteiligung abgestraft wurde.
»Die Fronten bleiben verhärtet, leider«
Schütz hält in einer Rede gegen. Bei der Kommunalwahl in NRW habe das BSW diesen Herbst noch nicht einmal 1,2 Prozent der Stimmen erhalten – dafür könne man Thüringen nun wirklich nicht verantwortlich machen. Die Partei müsse an ihrer innerparteilichen Meinungsfreiheit arbeiten. Eine starke Stimme für den Frieden werde man nicht, »indem man eigene Kritiker wie Hunde vom Hof jagt«. Er erntet Buhrufe und Autoritätsvorwürfe, selbst Wagenknecht rüffelt ihn. Man dürfe Debatten nie so führen, »als würden wir Krieg miteinander führen«. Und wer von der Parteilinie abrücke, habe ein »seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit«.
Der Thüringer zeigt sich über die massiven Anfeindungen enttäuscht. »Wenn wir als junge politische Kraft nicht demokratisch miteinander umgehen, bringen wir es nicht«, sagt er dem SPIEGEL. Thüringen habe immer wieder die Hand ausgestreckt, wolle Gräben überwinden. »Aber die Fronten bleiben verhärtet, leider.«
Alle auf Linie
Später versucht er es noch mal, mit einem eigentümlichen Manöver: Mit einer Kampfkandidatur grätscht Schütz in die handverlesene Liste der Bewerbenden für die stellvertretenden Vorsitzposten. Darauf stehen Wagenknecht-Getreue, Ex-Linke, starke Persönlichkeiten aus dem Osten fehlen. Auf der Bühne erklärt Schütz dann, die Kandidatur zurückzuziehen, nutzt aber seine Redezeit noch mal für ein »Friedenssignal«.
Friedenspartei sein zu wollen, heiße auch, im Inneren Frieden zu schaffen, durch Dialog. Das SW in BSW habe man neu vergeben, aber wofür stehe das B? »Es steht nicht für Blase, es steht für Bündnis.« Als Ostdeutscher habe er Probleme damit, wenn man ihm vorschreiben will, was Parteilinie sei. In einem Bündnis müssten alle eingebunden werden. Parteichefin Mohamed Ali ruft von ihrem Platz dazwischen, der Parteitag gebe die Linie vor, nicht er. »Ja, aber wir alle«, sagt Schütz, alle seien sie der Parteitag.
Schütz, einen Freistaat-Anstecker am Revers, schaut in verkniffene Gesichter und verschränkte Arme, Applaus erhält er am Ende kaum. Die Wagenknecht-Partei bleibt auf Linie. Auch ohne Wagenknecht.