Der Tag, an dem die Syrer ihren Diktator verjagten

Umsturz auf Syrisch

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die ersten Nachrichten über den Vorstoß der Rebellen im Nordosten Syriens Ende November vorigen Jahres kamen. Wir diskutierten in unseren Konferenzen im Auslandsressort, wie weit sie wohl kommen würden, bis die Truppen von Diktator Baschar al-Assad sie aufhalten würden.

Die Welt hatte Syrien so gut wie vergessen, plötzlich kam man nicht hinterher damit, sich die Augen zu reiben, so schnell rückten die Milizen vor (mehr über die unterschiedlichen Gruppierungen lesen Sie hier ). Innerhalb von zwei Tagen nahmen sie die Millionenstadt Aleppo ein und arbeiteten sich zügig Richtung Hama und Homs vor – die auf dem Weg nach Damaskus weiter südlich liegen. Über eine Analyse unseres Reporters Christoph Reuter, der Syrien wie kaum ein zweiter Journalist in Deutschland kennt, schrieben wir über die Offensive zu diesem Zeitpunkt: »Es könnte der rasante Anfang vom vermutlich langsamen Ende der Schreckensherrschaft in Damaskus sein« (lesen Sie hier  die Analyse).

Es ging schneller als angenommen. Unfassbar schnell. Die Rebellen beendeten 54 Jahre Assad-Diktatur in nicht einmal zwei Wochen. Heute vor einem Jahr floh Baschar al-Assad mit seiner Familie nach Moskau und lebt seither dort in einem goldenen Käfig, den ihm sein Freund Wladimir Putin gebaut hat.

Maßgeblich verantwortlich für diesen kühnen Umsturz: Ahmed al-Sharaa, der inzwischen in Maßanzug und mit elegant getrimmtem Bart bei US-Präsident Donald Trump auf dem Sofa im Weißen Haus sitzt, als hätte er nie was anderes gemacht – wie etwa Bomben gegen die Ungläubigen zu legen. »Ein Leben wie ein Hollywood-Drehbuch. Das vermutlich abgelehnt würde, weil zu verrückt«, schreibt Christoph in seinem Porträt des syrischen Übergangspräsidenten. Wird ausgerechnet der Ex-Terrorist Syrien in eine Demokratie führen? Nicht alle glauben daran, es gibt viel Skepsis. Nichts muss, alles kann sein – das hat das Land vor einem Jahr gezeigt.

  • Die ganze Geschichte hier: Das Enigma von Damaskus 

Die Hilflosigkeit der Ukraineunterstützer

Wieder endet ein Wochenende mit unzähligen russischen Angriffen auf die Ukraine: Drohnen und Hyperschallraketen explodierten etwa in der Nacht zu Sonntag in der Stadt Krementschuk, zuvor gab es massive Luftangriffe auf das Energienetz. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sterben und frieren weiter in ihrem vierten Kriegswinter – von nur drei Stunden Strom am Tag ist derzeit die Rede.

Russlands Machthaber Wladimir Putin führt seinen Angriffskrieg unvermindert fort, völlig ungeachtet der derzeitigen Gespräche über eine Friedenslösung unter amerikanischer Vermittlung – und in dieser Formulierung steckt schon ein Teil des Problems: Die USA vermitteln, im besten Falle. US-Präsident Donald Trump will ein Ende des Krieges, aber die Vereinigten Staaten sind nicht klar auf der »Seite« der westlich orientierten angegriffenen Ukraine und ihrer Unterstützer aus Europa.

Wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj heute nach London reist, um sich mit den führenden europäischen Staats- und Regierungschefs über den Stand der Verhandlungen zu beraten, wird er vermutlich auf verunsicherte Europäer treffen. Schließlich werden sie von den USA und Russland kaum einbezogen. Selenskyj ist mit Frankreichs Emmanuel Macron, Großbritanniens Keir Starmer und Friedrich Merz verabredet.

Die transatlantische Beziehung ist an einem neuen Tiefpunkt angekommen, das zeigt das verständliche Misstrauen der Europäer gegenüber der Trump-Regierung, das hinter verschlossener Tür formuliert wird (lesen Sie mehr dazu hier ). Das zeigt aber auch die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA unter Trump (mehr dazu hier ), die mal wieder alle Gewissheiten auf den Kopf stellt: Europa sei im Niedergang begriffen, aber gut, dass »patriotische« Parteien erstarkten, heißt es da sinngemäß – und Russland wird nicht mehr, wie unter der Vorgängerregierung von Joe Biden, als »akute« Bedrohung für die europäische Sicherheitsordnung gesehen. »Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stehen die USA nicht mehr an der Seite der Europäer«, sagt etwa CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Den Kreml freut’s.

  • Mehr Hintergründe hier: Die AfD will die deutsche Regierung stürzen – und wirbt in den USA um Unterstützung 

Lesen Sie dazu auch den aktuellen SPIEGEL-Leitartikel

  • Der Verderber der Demokratie: Aus der Welt ist die Trump-Welt geworden: Der US-Präsident wird zum Vorbild für andere, auch in Europa .

Holladio!

In der rauen Zeit, in der wir gerade leben, gibt es doch gelegentlich Ereignisse, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Zumindest ging es mir so, als ich diesen Termin für den heutigen Tag im Kalender sah: »In Neu-Delhi berät die Unesco u.a. über die Aufnahme des Jodelns in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes.«

Ich finde Jodeln ja sympathisch (und das sage ich nicht, weil es in der SPIEGEL-Redaktion eine mächtige Schweizfraktion gibt), weil es sich als Kulturtechnik so hartnäckig über Jahrhunderte gehalten hat. Trotz allen Belächelns und Kitschverdachts. Es braucht so wenig: keine Worte, nur die Kraft der Stimme und eine würdevolle Haltung am Berg, der beim Transport des Schalls hilft.

Vor einiger Zeit war von gestressten Großstädtern zu lesen, die Jodelkurse in Berlin, Hamburg oder München stürmten, Jodeln wurde gar als Alternative zu Yoga gesehen. Offensichtlich ist es nicht nur lustig, sondern macht auch glücklich. Bei unseren Kolleginnen und Kollegen vom Redaktionsnetzwerk Deutschland konnte man in einem Interview mit einem Jodelprofi  jüngst nachlesen, woran das liegt: Man hätte beim Jodeln immer eine leichte Lächelstellung, die »Zirbeldrüse wird angeregt, man stößt Glückshormone aus«. Die Welt braucht ja grad eher mehr davon.

  • Mehr Hintergründe hier: Warum Affen die besseren Jodler sind

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Noch mehr Rätsel wie Viererkette, Wordle und Paarsuche finden Sie bei SPIEGEL Games.

Gewinnerin des Tages…

…ist die »Lindenstraße«, deren erste Folge heute vor 40 Jahren ausgestrahlt wurde.

Heute wirkt die Serie, die bereits 2020 eingestellt wurde, wunderbar analog, in ihren Anfängen war sie Avantgarde: die erste wirkliche bundesrepublikanische Soap und geniale Abbildung alles Deutschen und seiner Brüche. Spiegel gesellschaftspolitischer Entwicklungen und Lagen. Das Ende des Deutschseins, wie es »Draußen nur Kännchen«, Blumenkübel aus Waschbeton und Ruhe, absolute Ruhe während der Mittagszeit verkörperten. »Man war woke durch und durch – längst bevor es den Begriff gab«, schrieb der SPIEGEL zur letzten Folge.

Die »Lindenstraße« war die erste reale Möglichkeit, den Deutschen ins Wohnzimmer zu schauen und beim Abendbrottisch dabei zu sein. So lebten die also! Schade, dass es damals kein Bingewatching gab.

  • Mehr zur letzten Folge der »Lindenstraße«: Wo Tabus leichter brachen als Butterkekse

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Thailand fliegt Luftangriffe entlang der Grenze zu Kambodscha: Flammt der bewaffnete Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha erneut auf? In der Nacht gab es offenbar Luftangriffe, Hunderttausende Zivilisten wurden evakuiert. Beide Seiten schieben sich die Schuld zu.

  • Riesenwelle auf Teneriffa reißt drei Menschen in den Tod: An einem Naturschwimmbecken im Westen Teneriffas sind mehrere Menschen von einer riesigen Welle ins Meer gezogen worden. Für zwei Männer und eine Frau kam jede Hilfe zu spät. Nach einer weiteren Person wird noch gesucht.

  • Kofferraub am Flughafen endet mit 21 Verletzten und Verkehrschaos: Offenbar hatten es die Täter gezielt auf das Gepäck einer Frau abgesehen: Bei einem Überfall sind am Flughafen London Heathrow zahlreiche Menschen verletzt worden. Der Rettungseinsatz hatte Auswirkungen auf andere Reisende.

Heute bei SPIEGEL Extra: Hilfe, ich habe beim Assessment-Center versagt!

Die Beförderung schien sicher, nur noch die interne Ausschreibung samt Gespräch. Doch plötzlich findet sich Lars in einem Assessment-Center wieder – und scheitert an den Aufgaben. Hat er jetzt noch eine Perspektive? 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Özlem Topçu, Leiterin des SPIEGEL-Auslandsressorts

Syriens Übergangspräsident Sharaa: Als hätte er nie was anderes gemacht

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Löscharbeiten nach einem russischen Angriff in der Poltawa-Region: Völlig ungeachtet der derzeitigen Gespräche

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Schweizer Alpen: Jodeln als Alternative zu Yoga

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Letzte Aufnahmeklappe der »Lindenstraße«: Dem Deutschen ins Wohnzimmer schauen

Foto: Rolf Vennenbernd / dpa

Stephanie Wunderlich / DER SPIEGEL

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