Kulturkampf statt Compliance-Klein-Klein

1. Der Haken mit den Häkchen

Techmilliardär Elon Musk hat ein Werbeverbot für die EU-Kommission auf seiner Plattform X verhängt (mehr dazu hier). Kurz vorher hatte Musk bereits gefordert, die Europäische Union abzuschaffen. Es gebe Zensur und zu viel Bürokratie. Eine Sprecherin der EU-Kommission wies die Attacken Musks heute zurück: »Es gehört zur Meinungsfreiheit, auch völlig verrückte Aussagen zu machen.«

Mutmaßlicher Anlass des Werbebanns: Vor wenigen Tagen hatte die EU-Kommission X zu einer Strafe von 120 Millionen Euro verdonnert. Nun setzte Musk offenbar zum Gegenschlag an. Sein X-Produktchef wirft der Behörde vor, eine Sicherheitslücke ausgenutzt zu haben. In einem schwer verständlichen Beitrag behauptet Nikita Bier, die Kommission habe ihren »inaktiven Werbeaccount« verwendet, um in dem fraglichen Beitrag einen Link zu veröffentlichen, der »Nutzer glauben lässt, dass es ein Video ist«.

Egal, ob es um die EU-Werbesperre auf X geht oder um Musks Hybris und seine Anmaßung, einer Institution für 450 Millionen Europäer handstreichartig das Existenzrecht abzusprechen, weil sie ihm auf die Finger haut: Die Europäer sollten sich nicht empört auf Musks Nebelkerzen stürzen. Er versucht, einen Kulturkampf vom Zaum zu brechen, um zugegebenermaßen recht spröde Details der Digitalpolitik in den Hintergrund zu drängen.

Die 120-Millionen-Euro-Strafe basiert auf dem sogenannten Digital Services Act (DSA). Das umfangreiche Regelwerk gilt seit Februar 2024 und soll das Schwert gegen als gefährlich angesehene Praktiken von Techriesen sein. Unter anderem ging es um den Vorwurf, dass unter Musks Ägide die Verifikationshäkchen hinter X-Accounts irreführend vergeben worden seien.

X könnten zudem in einem viel brisanteren Fall weitere Strafen drohen: Die europäischen Internetwächter haben X seit Dezember 2023 auch im Visier, weil die Plattform im Verdacht steht, nicht genug gegen illegale Inhalte oder Desinformation zu tun. Angesichts dieser Aussichten käme es aus Musks Sicht wohl in der Tat gelegen, wenn die EU aufhörte zu existieren. Auch US-Präsident Donald Trump ist mit seiner neuen Sicherheitsstrategie auf Kollisionskurs mit den europäischen Noch-Verbündeten (mehr dazu lesen Sie hier ). Musks Kulturkampfstrategie passt dazu ziemlich gut und könnte auch einer Anbiederungstaktik bei Trump folgen. Dessen Zorn scheint die EU zu fürchten. Zumindest wäre das eine Erklärung, warum das Verfahren gegen die US-Plattform von Musk seit Monaten vor sich hinzudümpeln scheint.

  • Hier gibt es weitere Hintergründe: X sperrt Werbung der EU-Kommission

2. Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix?

Aus der Jungen Alternative ist die »Generation Deutschland« geworden. Nun hat der Verfassungsschutz sich erstmals zu dieser Organisation geäußert. »Was wir sehen, ist schon eine personelle und inhaltliche Kontinuität«, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen. Er erwarte »keine Überraschungen oder einen Paradigmenwechsel innerhalb dieser Struktur.«

Seit rund einer Woche hat die AfD ihre neue Jugendorganisation. Zahlreiche Funktionäre befürworteten den Schritt, um den Nachwuchs künftig besser vor einem Verbot zu schützen, schließlich gilt nun auch das Parteienprivileg für sie. Die Organisation ist ein »rechtlich unselbstständiger Teil der Partei«, heißt es in der extra dafür geänderten AfD-Satzung. Mitglied in der neuen Jugendorganisation kann nur werden, wer auch in der AfD ist.

Andere AfD-ler behaupteten dagegen, sie wollten die alte Parteijugend auflösen, weil sie ihnen zu radikal gewesen sei beziehungsweise zu viele Schlagzeilen produziert habe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält sie nun allerdings für nicht weniger radikal. Meine Kollegin Ann-Katrin Müller war bei der Gründungsversammlung in Gießen : »Es zeigte sich deutlich, dass es nicht um eine inhaltliche Mäßigung ging«, so ihre Beobachtung. »Dort bekamen immer diejenigen gute Ergebnisse, die am radikalsten waren, selbst das Zitieren des Leitsatzes der Hitlerjugend brachte Erfolg.«

  • Lesen Sie hier mehr: Verfassungsschutz hält neue AfD-Jugend für ähnlich radikal wie Vorgänger

3. Beats und Baby

Musikmagazine weltweit wählten ihr Album auf die Bestenlisten 2025. Im Dezember tritt sie in Deutschland auf: Mein Kollege Felix Bayer hat die französische Popmusikerin Oklou interviewt und sagt Musikbanausen auch gleich, wie man den Namen der Künstlerin ausspricht, sollte man noch nicht von ihr gehört haben(»Okay-Lou«).

Mit Felix hat sie über die Veröffentlichung ihres Albums »Choke Enough« gesprochen. »In Zeiten, in denen nicht nur Meinungen, sondern auch Musikproduktionen oft gar nicht grell genug sein können, ist dieses Understatement der Französin extrem wohltuend«, schreibt Felix über Oklou, und das beschreibt ihre Musik ziemlich treffend. Sie ist eine willkommene Abwechslung von allzu oft gehörten Stampfrhythmen.

  • Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Das langsame Einsickern der Euphorie 

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Union offen für SPD-Vorschlag zu Renteneintrittsalter – Ökonomen widersprechen: Die Debatte über eine große Rentenreform nimmt Fahrt auf. Den Kreis der Beitragszahler erweitern? Das Eintrittsalter flexibler gestalten? In einer Frage liegen Union und SPD offenbar nicht so weit auseinander. Kritik kommt aber von außen.

  • Zahl der Firmenpleiten in Deutschland auf höchstem Stand seit 2014: Fast 24.000 Firmen haben 2025 Insolvenz angemeldet. Und ausgerechnet der Mittelstand steht unter besonderem Druck – Experten glauben für 2026 nicht an eine echte Trendwende.

  • Wind und Sonne liefern inzwischen fast zwei Drittel des Stroms: Wichtigster Energieträger in der Stromproduktion war laut Statistischem Bundesamt zuletzt erneut Windkraft, gefolgt von der Photovoltaik. Auf neue Gaskraftwerke will die Bundesregierung dennoch nicht verzichten.

  • Heftiges Erdbeben vor der Küste Japans – Behörden geben Tsunamiwarnung heraus: 80 Kilometer vor der Küste Japans hat es ein schweres Erdbeben gegeben. Die Behörden warnen vor meterhohen Wellen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen: Wadephuls Manöver ist aufgegangen

Weil er unlängst eine Chinareise absagte, kassierte Johann Wadephul Kritik. Beim Nachholbesuch zeigen die Chinesen Entgegenkommen, zumindest mit Blick aufs Protokoll. Bei den Inhalten fällt die Bilanz gemischter aus, berichten meine Kollegen Georg Fahrion und Christoph Schult aus Peking.

  • Hier die ganze Geschichte: Deutscher Außenminister in Peking 

Was heute weniger wichtig ist

Biss zum letzten Dollar: Schauspielerin und Regisseurin Kristen Stewart, 35, will keine Gage für ihren nächsten Film. »Ich möchte ihn umsonst machen, ich möchte keinen Dollar verdienen, ich möchte, dass er ein Riesenerfolg wird«, sagte der einstige Star der Blockbuster-Vampirreihe »Twilight« der »New York Times«. Der Grund: Die Filmindustrie mache es zu schwierig, Filme zu drehen, die keine Blockbuster oder bewährte Formeln seien. Stewart kritisierte schon öfter das System Hollywood, die Lage für Filmemacherinnen sei »verheerend«. Nun sagte sie dazu: »Das System hat Menschen ausgeschlossen.«

Mini-Hohl

Hier finden Sie den ganzen Hohl.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Der Bundeskanzler gibt sich heute Abend bürgernah, zumindest ein bisschen. In der ARD-»Arena« beantwortet Friedrich Merz ab 20.15 Uhr ausgewählte Bürgerfragen und versucht, zu beauskunften, wie es um Deutschland steht und wohin er das Land steuern will. Moderiert wird die Sendung von Jessy Wellmer und Louis Klamroth. Hier kann man Fragen einreichen .

Einen schönen Abend. Herzlich

Ihre Angela Gruber, Autorin im Wirtschaftsressort

X-Symbol über EU-Flagge

Foto: Nicolas Tucat / AFP

Die Führungsriege der neu gegründeten »Generation Deutschland«

Foto:

Martin Meissner / AP

Popmusikerin Mayniel alias Oklou

Foto:

Grace Pickering

Außenminister Johann Wadephul, Chinas Vizepräsident Han Zheng: Die Kunst der diplomatischen Wertschätzung

Foto: Soeren Stache / dpa
Foto:

CJ Rivera / Invision / AP

Hinweis an einem Aufzug im Bahnhof Hamm

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

Klaus Stuttmann

Friedrich Merz während der ARD-Sendung »Wahlarena« im Februar

Foto: Kay Nietfeld / dpa

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