Frei und unabhängig: Herr Sauer hat ein Kraftwerk im Keller
Kriege, Klimakrise, Inflation, steigende Preise für Strom, Gas und Öl: Die Welt, das spüren wir alle jeden Tag, wird seit Jahren unsicherer und unübersichtlicher. Was liegt da näher, als sich und seine Familie möglichst weit abzukoppeln von all diesen Übeln? Es gibt tatsächlich Leute, die sich den Traum der Autarkie ein Stück weit erfüllt haben. Diese Glücklichen werden weder frieren noch im Dunkeln sitzen, selbst wenn Deutschlands Kraftwerke oder Gasnetze über Wochen ausfielen.
Meine Kollegen Susanne Götze und Marc Hasse beschreiben im neuen SPIEGEL, was man braucht, um sich unabhängig zu machen. Südlich von München traf Marc den Politikwissenschaftler Frank Sauer in seiner Doppelhaushälfte. Er hat eine Solaranlage auf Dach und Carport, dazu eine Batterie – aber im Keller verfügt er überdies noch über ein eigenes Kraftwerk.
Sauer zählt zu den wenigen Privatpersonen in Deutschland, die ihren an manchen Tagen überschüssigen Strom in Wasserstoff verwandeln können. Der lässt sich gut über Monate in Tanks lagern, bis er im Herbst und Winter gebraucht wird. Dann fließt er in Sauers hauseigene Brennstoffzelle, die ihn wieder in elektrische Energie umformt. Über das Jahr gesehen ist Sauer damit zu 70 Prozent der Zeit unabhängig von externen Versorgern. Die Bilanz sähe noch besser aus, wenn die noch nicht ganz ausgereifte Anlage nicht ab und zu streiken würde.
Meine Kollegin Susanne war zudem in Großbardorf in Unterfranken, einem von rund 200 Orten in Deutschland, die sich weitgehend freigekämpft haben von Energiekonzernen. Die Leute dort fingen früh mit der Selbstversorgung an. Das erste Windrad samt der eigenen Batterie installierten sie schon 1921. Inzwischen haben sie vier Windräder, dazu viele Solarpanels, eine Biogasanlage und ein eigenes Nahwärmenetz. Das funktioniert bestens. Die 1000 Bewohner von Großbardorf verdienen damit sogar Geld, Preissteigerungen oder Engpässe bei der Energiezufuhr kennen sie nicht.
Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, müssen viele Gemeinden dem Beispiel aus Unterfranken folgen. Auf dem Land ist das offenbar einfacher als in den Städten, wo es an Platz für Solar- und Windkraftanlagen fehlt. Die weitgehende Autarkie beim Ökostrom hat gleich zwei Riesenvorteile: Sie lindert die Klimakrise und sie hilft, unabhängig zu werden von autoritären Energieexporteuren wie Russland. Was es dafür an Ideen und Vorbildern gibt, was die Schattenseiten sind – das lesen Sie hier .
Herzlich
Ihr Marco Evers
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Kraftwerksbesitzer Sauer in seinem Keller: Zu 70 Prozent unabhängig von den Versorgern
Foto:Jana Islinger / DER SPIEGEL
Neil Hall / EPA