Warum sich diese Raupe mit den Überresten ihrer Beute verkleidet
Die fleischfressende Knochensammlerraupe zeigt, was sie sich alles einverleibt. Außen an ihrem Körper hängen Ameisenköpfe, Insektenflügel oder der Panzer eines Käfers. Aus den ungenießbaren Körperteilen ihrer Insektenbeute baut sich die Knochensammlerraupe ein Tarngewand.
Es liegt nicht nur an dieser Tarnung, dass die Knochensammlerraupe so selten gesichtet wird, sondern auch daran, dass es nur extrem wenige Tiere dieser Spezies gibt. Laut der Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft« wurde die Knochensammlerraupe 2008 erstmals beobachtet. Nun ist es Forschern erneut gelungen, weitere Exemplare zu finden. In einem Artikel in der Fachzeitschrift »Science« wurden die Raupe und ihr spezielles Fressverhalten der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Wissenschaftler entdeckten die skurrilen Insektenlarven in einem 15 Quadratkilometer großen Stück Bergwald auf der hawaiianischen Insel Oahu. Dabei bewohnen die Raupen nicht nur ein kleines Gebiet, sie sind auch sehr selten. So seien nach Jahren der Suche gerade einmal 62 Exemplare beobachtet worden.
Die räuberische Raupe
Dass die außergewöhnliche Art ausgerechnet auf Hawaii entdeckt wurde, ist den Wissenschaftlern zufolge kein Zufall: Die geografische Isolation der Inselgruppe habe eine ganze Reihe bizarrer Arten hervorgebracht, darunter Libellenlarven, die auf dem Land und nicht im Wasser leben, Spinnen, die ihre Beute aus der Luft aufspießen, und eine ganze Reihe fleischfressender Raupen. Solche karnivoren Raupen sind für sich schon eine Seltenheit: Unter den fast 200.000 derzeit bekannten Motten- und Schmetterlingsarten weisen gerade einmal 0,1 Prozent der Larven ein solches räuberisches Verhalten auf.
Noch ungewöhnlicher ist bei der Knochensammlerraupe aber ihr Jagdverhalten. Das Insekt aus der nur auf Hawaii vorkommenden Mottengattung Hyposmocoma lebt ausschließlich in Spinnennetzen in Baumhöhlen oder Felsspalten. Die Raupen kriechen durch diese Netze auf der Pirsch nach geschwächten oder kürzlich gestorbenen anderen Insekten, die sich im Netz verfangen haben. Auch vor Artgenossen machen sie nicht halt und kannibalisieren diese, falls sie auf ein kleineres Exemplar treffen.
Ein selbstgekauter Panzer
Bemerkenswert ist indes, womit sich die Raupen schmücken, um nicht von ihrem Spinnenwirt entdeckt zu werden: So tragen sie zur Tarnung ungenießbare Körperteile ihrer Beutetiere, schreiben die drei Wissenschaftler: »Die Körperteile werden sorgfältig auf ihre Größe hin vermessen, bevor die Raupe sie in ihre Sammlung einwebt.« Jeder potenzielle Neuzugang werde mehrmals gedreht, mit den Mundwerkzeugen ertastet und überwiegend auf eine Größe heruntergekaut, die in die Hülle passe.
Die Strategie scheint aufzugehen. Bislang hätten sie noch keine von Spinnen erlegte oder gefangene Knochensammlerraupe beobachtet, heißt es in der Studie.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Knochensammlerraupe lebe in Symbiose mit Spinnen. Das ist falsch. Die Tiere sind lediglich Nachbarn. Wir haben den Fehler korrigiert.
Individuelles Tarnkleid: Unterschiedliche Knochensammlerraupen
Foto: Rubinoff Lab, Entomology Section / University of Hawaii, Manoa / dpaDirekte Nachbarschaft: Knochensammlerraupen leben in Spinnennetzen
Foto: Rubinoff Lab, Entomology Section / University of Hawaii, Manoa / dpa