US-Forscher auf der Flucht
Es ist ein mehr als bedenkliches Zeichen, wenn viele der Klügsten in einem Land für sich und ihre Arbeit keine Zukunft mehr sehen. Als Adolf Hitler in Deutschland an die Macht kam, verließen Köpfe wie Albert Einstein ihre Heimat Richtung USA. Unter den unfreiwilligen Emigranten waren Physiker wie John von Neumann, Leó Szilárd, Hans Bethe, Edward Teller und Otto Frisch. Zusammen spielten sie eine Schlüsselrolle im »Manhattan Project« – dem Bau der Atombombe. Was, wenn sie diese Arbeit in Deutschland geleistet hätten?
Die US-Wissenschaft hat enorm profitiert von den Abertausenden Forschern, die nach 1933 vor den Nazis fliehen mussten. In Fächern wie Chemie, wo Deutsche schon lange führend waren, nahm die Zahl der US-Patentanmeldungen wegen der Immigranten sprunghaft um mehr als 30 Prozent zu. Nach dem Krieg wurden die USA vollends zur führenden Forschungsnation der Welt – weil sie es immer verstanden, attraktiv zu bleiben für talentierte Einwanderer: Von den 410 US-Wissenschaftlern, die zwischen 1901 und 2024 mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, wurde mehr als jeder Dritte nicht in den USA geboren. Mehr als die Hälfte der wertvollsten Hightech-Start-ups in den USA wurden mitgegründet von Immigranten oder Immigrantenkindern, Konzerne wie Apple, Alphabet (Google), Nvidia oder Moderna.
All dies ändert sich jetzt abrupt durch die Politik von US-Präsident Donald Trump. Unversehens geschehen Dinge, die im Mekka der Forschung bislang unvorstellbar waren. Die Regierung plant einen Kahlschlag bei Fördergeldern. Forschende werden drangsaliert, Universitäten regelrecht zu Feinden erklärt. Wer in einem Förderantrag Worte wie »Impfung«, »Covid« oder »Prävention« auch nur verwendet, hat offenbar schon verloren.
Die führende Forschungsnation der Welt scheint ihren Status, ihre Strahlkraft und eine Grundlage ihres Wohlstandes mutwillig und ohne Not aufgeben zu wollen.
Meine SPIEGEL-Kolleg:innen Claus Hecking, Kerstin Kullmann und Elisa Schwarze haben Forscherinnen und Forscher in den USA gesprochen, die mit wachsender Verzweiflung auf das reagieren, was ihnen unter Trump widerfährt . Viele wollen emigrieren – auch nach Deutschland. Was sie sagen, macht fassungslos. Eine junge Neurowissenschaftlerin berichtet von einer Stimmung an ihrer Uni wie beim Untergang der »Titanic«. Ein junger Klimaforscher sucht jetzt mit seiner Familie seine Zukunft in Irland. Ein besorgter Genforscher sorgt sich um den akademischen Nachwuchs, der so an den US-Universitäten kaum zur Blüte kommen wird. Auch er erwägt die Emigration. »Wenn unsere verantwortlichen Politiker so weitermachen«, sagt er, »werden sie überrascht sein, wie schnell wichtige Wissenschaftler weg sind.«
Für Deutschland und Europa ist das eine Chance. Der von Trump entfachte Braindrain könnte für den alten Kontinent unverhofft zum Braingain werden.
Herzlich,
Ihr Marco Evers
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(Feedback & Anregungen? )
Immigrant Einstein an der Princeton University, 1951: Braingain statt Braindrain?
Foto: GRANGER Historical Picture Archive / IMAGO