Wirtschaftsministerin Reiche muss ersten Rückschlag einstecken

Die neue Wirtschaftsministerin hatte auf eine schnelle Lösung gehofft. Anfang der Woche empfing Katherina Reiche (CDU) die EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera in ihrem Ministerium. Ribera ist für den klimafreundlichen Umbau von Europas Wirtschaft zuständig – und für die Wahrung eines fairen Wettbewerbs.

Zwei Ziele, die in der Energiepolitik oft in Konflikt stehen. So auch Anfang der Woche beim Spitzengespräch der beiden Politikerinnen.

Reiche hat mit Deutschlands Energieversorgung einiges vor. Bis zu 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken will sie bauen lassen, als Backup für die schwankende Ökostromversorgung. Die Ausschreibungen dafür sollen nach ihrem Willen »so schnell wie möglich« beginnen.

Nach SPIEGEL-Informationen sollte es zwischenzeitlich einmal ganz schnell gehen. Die Fachebene des Ministeriums sei angewiesen gewesen, das Treffen zwischen Reiche und Ribera gut vorzubereiten, heißt es in Berlin. Man habe möglichst schon hier »den Sack zumachen« wollen.

Das hat ganz offensichtlich nicht geklappt. Bei dem Gespräch seien zwar viele Themen gestreift worden, heißt es. Doch tiefergehende Details habe man nicht besprochen. Ein Toptreffen, bei dem die Chefs nur letzte strittige Punkte abräumen, war das nicht.

Das aber sei auch nicht geplant gewesen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Es habe sich um ein erstes Kennenlern-Treffens gehandelt. Eine umfassende Einigung über ein so kompliziertes Thema habe man nicht erwartet, dies wäre auch unrealistisch gewesen.

Entsprechend höflich, aber nichtssagend kommentierte Ribera das Gespräch. »Wir müssen unsere Kräfte bündeln«, sagte sie hinterher vor Journalistinnen und Journalisten. Aber auch: »Wir dürfen nicht in unterschiedliche Richtungen laufen.«

In Brüssel ist zu hören, Ribera habe sich von Reiche zwar ihre Pläne erläutern lassen, aber nicht gesagt, wie sie diese finde. Es sei aber kaum vorstellbar, dass Brüssel die deutschen Vorschläge einfach schlucke. Denn sie unterlaufen die EU-Leitlinien  für Energiebeihilfen.

Laut diesen müssen Staaten erst nachweisen, wie groß ihr tatsächlicher Bedarf an neuen Kraftwerken ist, ehe es eine Genehmigung gibt. Und sie müssen ihre Versorgung technologieoffen absichern. Beides erfüllt Reiches Plan nicht.

Schon Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte sich an diesen Auflagen abgekämpft. Seine Leute hatten erst nach zähem Ringen einen Kompromiss mit Brüssel gefunden.

Fünf Gigawatt an neuen Gaskraftwerken wollte die Kommission ihm 2024 im Sinne der Versorgungssicherheit genehmigen. Im Gegenzug sollte für fünf weitere Gigawatt an neuen Gaskraftwerken die Auflage gelten, dass sie acht Jahre nach Inbetriebnahme auf Wasserstoff umgestellt werden. Hinzu kommen sollten 0,5 Gigawatt an neuen Kraftwerken, die sofort mit Wasserstoff laufen, und die Umrüstung von zwei Gigawatt bestehender Gaskraftwerke auf Wasserstoff.

Erst diese Gesamtlösung galt damals in Brüssel als akzeptabel. Und das auch nur, weil für die wasserstofffähigen Kraftwerke andere beihilferechtliche Vorgaben gelten. Sie dienen laut EU-Richtlinien nicht primär der Versorgungssicherheit, sondern der Dekarbonisierung. Und hierfür muss weder der genaue Bedarf an Versorgungsleistung nachgewiesen werden, noch gilt das Primat der Technologieoffenheit.

Fast das ganze vergangene Jahr gab es hitzige Diskussionen zu diesem Thema. Erst im November legte das Wirtschaftsministerium einen Referentenentwurf vor; doch kurz zuvor war die Koalition zerbrochen, das Gesetz kam nicht mehr durch den Bundestag.

Die schwarz-rote Koalition unternimmt nun einen neuen Anlauf. Und der kommt aus Sicht vieler Beobachter einem Affront gleich. Statt fünf Gigawatt reiner Gaskraftwerke sollen es nun bis zu 20 Gigawatt sein. Von einer Umstellungsfrist auf Wasserstoff ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr.

Die neue Regierung agiere so, als hätte es die Diskussionen des vergangenen Jahres nicht gegeben, heißt es in Unternehmenskreisen. Man finde das einigermaßen befremdlich.

Schwarz-Rot hofft offenbar, ebenfalls einen Teil der 20 Gigawatt als Dekarbonisierungsmaßnahme zu deklarieren. Die geplanten Kraftwerke sollen dafür mit sogenannter CCS-Technologie bestückt werden. Dank ihr ließe sich ausgestoßenes CO₂ in unterirdischen Lagerstätten sammeln.

In Brüssel gilt CCS tatsächlich als Dekarbonisierungsmaßnahme. In der Energiebranche aber gilt diese Technologie als teuer und unausgereift. Es dürfte kaum Firmen geben, die solche Kraftwerke schon jetzt von sich aus bauen würden, heißt es bei einem Versorger. »Wenn das wirklich die Brücke zu Brüssel werden soll, dürften sich die Unternehmen das teuer entlohnen lassen.« Im Sinne der Steuerzahler wäre das sicher nicht.

Problematisch ist auch, dass die neuen Verhandlungen mit Brüssel Zeit kosten. Das Backup wird dringend gebraucht, weil im Rahmen der Energiewende demnächst viele alte Kraftwerke vom Netz gehen sollen. Der Bau der neuen Kraftwerke aber dürfte vier bis sechs Jahre dauern.

Besonders lange Gespräche mit Brüssel kann sich die neue Regierung nicht erlauben. Deutschlands größter Energieverband, der BDEW, rät Reiche zu Pragmatismus. Sie sollte einfach einen Großteil des Ampelplans übernehmen, schreibt der Verband sinngemäß in einer Presseerklärung.

Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Düsseldorf

Foto: Jochen Tack / IMAGO

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