Das fehlt dem DFB-Team noch zur Weltspitze
Wenn es noch einen Beleg für die spanische Unterlegenheit an diesem Freitagabend benötigt hätte, wäre ein Blick in die Nachspielzeit ausreichend gewesen. Torhüterin Cata Coll vom FC Barcelona hatte den Ball weit vor dem eigenen Tor am Fuß und machte: gar nichts. Sie wartete, die Pfiffe wurden immer lauter, keine deutsche Spielerin lief sie an, Coll wollte möglichst viel Zeit verstreichen lassen. Nach 20 Sekunden schlug sie einen langen Ball, der – mal wieder – nicht ankam.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft hatte im Fritz-Walter-Stadion vor 40.159 Zuschauerinnen und Zuschauern sehr viel richtig gemacht. Spanien, die Weltmeisterinnen und das individuell mit Abstand bestbesetzte Team, war frustriert, genervt, überrascht und wollte am Ende nur, dass Schiedsrichterin Iuliana Demetrescu abpfeift.
Aus spanischer Sicht ist der 0:0-Endstand die beste Nachricht. Im Rückspiel des Nations-League-Finals am kommenden Dienstag (18.30 Uhr) in Madrid wird es ein anderes Spiel werden, die Spanierinnen bleiben favorisiert.
Die deutsche Mannschaft wiederum hat nach der EM im Sommer mit dem Aus im Halbfinale gegen ebendiese Spanierinnen ihren Aufwärtstrend bestätigt. Die Entwicklung ist bemerkenswert – und doch fehlt noch etwas, um Spanien zu schlagen und endgültig wieder in der Weltspitze anzukommen.
Vier Erkenntnisse zu dem Remis von Kaiserslautern:
Klara Bühl und die Sache mit der Effizienz
Nach dem Spiel fiel ein Begriff inflationär: Effizienz. Die Spielerinnen sprachen davon, Bundestrainer Christian Wück nutzte ihn auch in seiner Frustanalyse: »Es ist die alte Leier«, sagte Wück. »Uns fehlt die Effizienz vor dem Tor. Das ist eine Frage der Spielintelligenz.«
19:9-Torschüsse zählten die Statistiker am Ende, dreimal touchierte der Ball die Latte oder den Pfosten des spanischen Tores, bei konservativer Rechnung vergab das deutsche Team fünf Großchancen. Da ist das Wehklagen nachvollziehbar.
Die beste Spielerin auf dem Platz war Klara Bühl. Viele Offensivaktionen nahmen auf ihrer linken Seite ihren Ursprung. Bühl ging mit einer erstaunlichen Ausdauer in die direkten Duelle gegen Ona Batlle, sie dribbelte, sie zog in die Mitte – und sie schloss ab. Ein Tor gelang ihr nicht, und das erinnerte an die Europameisterschaft. Auch da hatte sie die mit Abstand meisten Abschlüsse, ohne Erfolg.
Bühls Torquote ist, trotz ihrer beiden Treffer gegen Frankreich im Halbfinale der Nations League, symptomatisch für die fehlende Effizienz des Nationalteams.
Man fragt sich bisweilen, warum Bühl im Nationalteam so oft den Überblick verliert. Tatsächlich ist das in ihrem Verein, beim FC Bayern München, anders. Da war sie in dieser Saison in 17 Pflichtspielen an 16 Toren beteiligt, bei den Bayern glänzt Bühl vor allem als Vorbereiterin.
Im Klub ist die Last in der Offensive auf viele Schultern verteilt, beim DFB hat sie weniger abschlussstarke Spielerinnen neben sich und Bühl scheint deshalb zu viel zu wollen. Wück hat eine klare Forderung: »Sie muss ihre Quantität in Qualität ummünzen.«
Nur wie geht das, gerade im Hinblick auf das Rückspiel gegen Spanien? »Ich habe als Offensivspielerin gelernt, dass man jede Aktion separiert sehen muss«, sagte Bühl in Kaiserslautern. Und hatte direkt einen Tipp parat: »Jede Spielerin muss noch mal für sich schauen, ob man den Kopf hochnehmen, den Ball einfach in die Ecke schieben oder mit Gewalt abschließen muss.« Es klang wie eine Selbsterkenntnis.
Die Spielkontrolle darf nicht verloren gehen
Wück äußerte nach dem Spiel einen weiteren Kritikpunkt: Er müsse erst mal erkunden, warum Spanien nach Wiederanpfiff plötzlich im Spiel war und sein Team den Zugriff verlor. Zur Wahrheit dieser ersten Finalpartie gehört, dass die Mannschaft von Trainerin Sonia Bermúdez in dieser Phase in Führung hätte gehen können.
Erst setzte die ehemalige Weltfußballerin Alexia Putellas einen freien Schuss im Strafraum knapp vorbei (49. Minute), Esther González traf wenig später den Pfosten (54.).
Wenn die Spanierinnen getroffen hätten, wäre das Spiel ziemlich sicher komplett gekippt. So fand die deutsche Mannschaft nach einer Viertelstunde wieder zu ihren Tugenden zurück. Doch diese Ambivalenz zieht sich durch die Zeit unter Wück.
Gegen die starken Gegnerinnen wie Frankreich, England oder Spanien gab es immer wieder gute Phasen, aber nicht über 90 Minuten. Diesmal waren es 75, der Bundestrainer muss sich nun auf die Suche nach den letzten 15 machen.
Die taktische Entwicklung stimmt
Der DFB ging 2024 ins Risiko, als Wück zum Nachfolger von Interimstrainer Horst Hrubesch bestimmt wurde. Der langjährige Nachwuchscoach hatte keinerlei Erfahrung mit Fußballerinnen, und das merkte man in den ersten Monaten. Wück leistete sich Fehler in der Kommunikation mit nicht nominierten Spielerinnen, und auch bei der Erarbeitung der passenden Spielidee tat sich der 52-Jährige zunächst schwer.
Doch seit der EM in der Schweiz, die spielerisch keine Glanzlichter bot, ist innerhalb des Teams gemeinsam mit dem Trainer etwas zusammengewachsen. »Entwicklungen sind nicht immer greifbar«, sagte Abwehrspielerin Rebecca Knaak in Kaiserslautern, aber es habe sich in der Mannschaft etwas entwickelt.
Dazu gehört auch die Implementierung einer klaren Spielidee. Die DFB-Frauen verteidigen mutig nach vorn, sie machen mit den hochstehenden Außenverteidigerinnen das Spiel breit. Brands Versetzung ins Zentrum ist ein klarer Gewinn für das Team, nach Ballgewinnen wird oft unmittelbar vertikal nach vorn gespielt.
Und auch gegen den Ball hat Wück mehr Aktivität gefördert, gegen Spanien rückte meist eine Innenverteidigerin ins Mittelfeld, um Überzahl zu schaffen.
Es findet sich eine Achse
Alexandra Popp, Lina Magull, Svenja Huth, Marina Hegering, Merle Frohms, Sara Däbritz, Melanie Leupolz, Sara Doorsoun – sie alle haben in den vergangenen anderthalb Jahren das DFB-Team verlassen. Zudem fehlt die erneut schwer am Knie verletzte Lena Oberdorf, Wück musste einen großen Umbruch händeln.
Mittlerweile scheint dieser abgeschlossen zu sein, es bildet sich ein Gerüst, denn laut Wück müssen »die Rädchen ineinandergreifen und da sind wir auf einem guten Weg«.
In Kaiserslautern nannte er explizit die Doppelsechs mit Elisa Senß und Sjoeke Nüsken, das linke Pärchen mit Bühl und ihrer Vereinskollegin Franziska Kett sowie Kapitänin Giulia Gwinn, die mit wechselnden Partnerinnen auf ihrer rechten Seite zurechtkommt. In der Innenverteidigung ist Janina Minge gesetzt, wie Brand im offensiven Mittelfeld.
Einzig im Sturmzentrum hat der Bundestrainer noch nicht die Idealbesetzung gefunden. Giovanna Hoffmann wird mit Kreuzbandriss lange ausfallen, Lea Schüller fehlte diesmal aus privaten Gründen, konnte unter Wück bisher nicht überzeugen und bei Nicole Anyomi gilt es noch abzuwarten. Sie ist zumindest keine klassische Torjägerin, die dem DFB-Team zehn Treffer in einer Saison garantiert.
Und es droht Ungemach im Tor, die EM-Heldin Ann-Katrin Berger hat noch nicht entschieden, ob sie bis zur WM 2027 weiterspielen möchte. Das soll nach dem zweiten Finale in Madrid passieren.
Bundestrainer Christian Wück
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Mittelfeldspielerin Jule Brand
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