Nach fast 100 Tagen häufen sich die Baustellen
Am kommenden Donnerstag ist die schwarz-rote Regierung 100 Tage im Amt. Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine "Politikwende" versprochen, zumindest aber wollte seine Koalition es besser machen als die Ampel. Dennoch knirscht es an mehreren Stellen. Eine Chronologie.
6. Mai: Die verstolperte Kanzlerwahl
Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler geht im ersten Wahlgang schief, Merz verpasst die erforderliche Mehrheit um gleich sechs Stimmen. Nach einer Zitterpartie mit hektischen Verhandlungen klappt es dann am Nachmittag desselben Tages im zweiten Anlauf - auch dank Grünen- und Linksfraktion, die den notwendigen Fristverkürzungen zustimmen.
11. Mai: Bas-Vorstoß zur Rentenpolitik
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD schlägt wenige Tage nach Amtsantritt vor, auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Aus Sicht der Union ein Tabubruch, entsprechend groß ist der Aufschrei. Seitdem flammt die Debatte immer wieder auf.
2. Juni: Urteil zu Zurückweisungen
Differenzen zwischen den Koalitionspartnern werden deutlich, als das Berliner Verwaltungsgericht am 2. Juni drei Asylsuchenden aus Somalia Recht gibt, die zuvor an der deutsch-polnischen Grenze abgewiesen worden waren. Innenminister Alexander Dobrindt von der CSU hält mit Rückendeckung des Bundeskanzlers seither trotzdem an der rechtlich umstrittenen Praxis der Zurückweisungen fest. Aus der SPD, die selbst nie für die Zurückweisungen war, kommen hingegen Forderungen nach einer rechtlichen Klärung.
24. Juni: Abrücken von Stromsteuer-Senkung
Die generelle Absenkung der Stromsteuer für Wirtschaft und Privathaushalte hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag zugesagt. Mit der Vorlage des Haushaltsentwurfs für 2025 wird jedoch klar, dass dies nur noch für Teile der Wirtschaft, vor allem für energieintensive Industriebetriebe, gelten soll. Die übrigen Unternehmen sowie private Verbraucherinnen und Verbraucher werden von der Regierung hingegen auf später vertröstet. Dass Teile der Union dies kurz nach dem Kabinettsbeschluss zum Haushalt wieder in Frage stellten, sorgt beim Koalitionspartner SPD für Irritationen. Aus Sicht der SPD zeigt sich die Union hier als wenig verlässlicher Partner.
27. Juni: Dämpfer für Klingbeil beim SPD-Parteitag
Die Delegierten des SPD-Bundesparteitages stellen sich zwar grundsätzlich hinter die schwarz-rote Koalition - wie sehr es in der Partei brodelt, zeigt jedoch das extrem schwache Ergebnis für Vizekanzler Klingbeil bei seiner Wiederwahl als Parteichef. Er erhält nur 64,9 Prozent der Stimmen. In den Debatten gibt es deutliche Kritik am Verfehlen des Ziels, den Mindestlohn 2026 auf 15 Euro anzuheben sowie am harten Kurs der Regierung in der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Auch die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben stößt auf Vorbehalte.
11. Juli: Gescheiterte Richterwahl
Auf drei Wahlvorschläge für die Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht hatten sich die Spitzen von Union und SPD verständigt. Kurz vor dem Abstimmungstermin im Bundestag wachsen in der Unionsfraktion jedoch die Vorbehalte gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. In buchstäblich letzter Minute zieht Fraktionschef Jens Spahn die Reißleine. Die Wahl für alle drei Richterposten wird kurzfristig abgesagt. Erneut stellt sich der SPD die Frage, wie verlässlich der Koalitionspartner ist. Die Sozialdemokraten halten zwar an ihrer Kandidatin fest, Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur jedoch vier Wochen später zurück, da die Union ihr signalisiert hatte, dass sie keine Mehrheit haben werde. "Das hinterlässt Spuren", warnt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch den Koalitionspartner. "Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen."
25. Juli: Reiche reizt mit Rentenvorstoß
CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche reizt die SPD mit der beiläufig im FAZ-Interview erhobenen Forderung nach einem späteren Renteneintritt. Erst bis Anfang 2027 soll eine Expertenkommission Reformvorschläge unterbreiten - das Thema dürfte damit ein Dauerbrenner in der Koalition bleiben.
3. August: CSU-Chef Söder tritt Bürgergeld-Debatte los
Mitten in der Sommerpause zettelt CSU-Chef Markus Söder eine Bürgergeld-Debatte an. Anders als vereinbart will er rückwirkend allen aus der Ukraine Geflüchteten das Bürgergeld streichen und nur noch niedrigere Asylbewerberleistungen gewähren - und nicht nur wie im Koalitionsvertrag vorgesehen neu ankommenden Menschen aus dem von Russland angegriffenen Land. Die SPD reagiert verschnupft. SPD-Chef Klingbeil kritisiert, solche Vorschläge trügen "nicht dazu bei, dass wir in der Koalition gemeinsam vorankommen".
Bis September hat die Koalition Zeit, ihre Konflikte zu klären oder auch weiter zu eskalieren. Dann endet die Sommerpause und der Bundestag debattiert den Haushalt für das laufende Jahr. Auch hier gibt es genug Stoff für Streit.