Forschende finden breit wirksame Antikörper gegen HIV
In Blutproben haben Forschende Antikörper gefunden, die zahlreiche HIV-Varianten bekämpfen können – zumindest unter Laborbedingungen. Das Team um Florian Klein von der Uniklinik Köln sieht Potenzial dafür, dass der Antikörper präventiv verabreicht eine HIV-Infektion verhindern könnte. Klarheit wird allerdings erst eine langwierige Abfolge klinischer Studien bringen. Bislang gibt es keine Impfung, die vor einer HIV-Infektion schützt.
Das Forschungsteam hatte Blutseren von 32 sogenannten Elite-Controllern aus verschiedenen Ländern untersucht. Dabei handelt es sich um Menschen, deren Immunsystem es schafft, eine HIV-Infektion dauerhaft in Schach zu halten – allerdings kommt das nur sehr selten vor. Diese Menschen weisen eine sehr niedrige oder sogar nicht nachweisbare Viruslast auf, ohne mit antiretroviralen Medikamenten behandelt zu werden.
Elite-Controller haben eine besonders starke und breit wirksame Antikörperantwort gegen das Virus. Aus dem Blut der 32 einbezogenen Probanden wurden insgesamt 831 verschiedene Antikörper extrahiert und auf ihre Wirksamkeit gegenüber 337 HIV-1-Subtypen getestet. Nur ein Antikörper mit dem Namen »04_A06« neutralisierte Viren besonders effizient, wie das Team im Fachjournal »Nature Immunology« berichtet. Er habe zudem mehr als 95 Prozent der getesteten HIV-1-Varianten hemmen können.
Wenn ein Antikörper ein Virus erfolgreich neutralisiert, bedeutet das, dass der Antikörper an spezifische Strukturen auf der Virusoberfläche bindet, die für das Virus entscheidend sind, um in Wirtszellen einzudringen und sich zu vermehren. Der Erreger wird dadurch in seiner Infektionsfähigkeit gehemmt und kann keine Zellen infizieren, was die Ausbreitung der Infektion im Körper verhindert.
Versuch mit Mäusen
In Experimenten mit humanisierten Mäusen, die mit einem HIV-1-Virusstamm (YU2) infiziert waren, unterdrückte eine Behandlung mit 04_A06 das Virus vollständig. Als humanisiert werden genetisch veränderte Mäuse bezeichnet, die ein menschliches Immunsystem oder andere menschliche Komponenten besitzen. Die Forschenden um Klein sehen Möglichkeiten für eine wirksame Behandlung und Prävention von HIV-1-Infektionen, dem weltweit häufigsten und am stärksten verbreiteten HIV-Typ.
Es seien bereits einige breit neutralisierende, gegen die CD4-Bindungsstelle gerichtete Antikörper gefunden worden, erklärte Alexandra Trkola von der Universität Zürich zu den Ergebnissen. An der aktuellen Untersuchung war sie nicht beteiligt. 04_A06 sei definitiv ein außerordentlich potenter Vertreter dieser Gruppe und habe deswegen großes Potenzial sowohl für eine präventive als auch eine therapeutische Anwendung.
Die Neutralisationskapazität, also die antivirale Wirksamkeit, lag Kleins Team zufolge bei mehr als 90 Prozent – ein sehr hoher Wert, wie Christoph Spindler vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) sagte, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war. »Damit eignet er sich theoretisch zur Prävention und Therapie einer HIV-Infektion.« Die Wirksamkeit von Präexpositionsprophylaxe oder Therapie liege bei 95 bis mehr als 99 Prozent.
Weitere Forschung nötig
Dem Forschungsteam um Klein sei ein wichtiger und unverzichtbarer erster Schritt gelungen, der Weg zu einer potenziellen klinischen Nutzbarkeit sei allerdings noch lang. Die in Laboranalysen gewonnenen Daten könnten nicht direkt auf das echte Leben übertragen werden, betonte Spindler. Vielmehr lieferten sie die Grundlage für jetzt notwendige Studien zu Dosisfindung, Verträglichkeit und Wirksamkeit des Antikörpers.
Der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids ist global gesehen eine der größten medizinischen Herausforderungen. Noch immer stecken sich rund 1,3 Millionen Menschen pro Jahr mit HIV an. Wenn eine Infektion nicht behandelt wird, schwächt das Virus das Immunsystem so stark, dass lebensgefährliche Krankheiten auftreten. Man spricht dann von Aids (Erworbenes Immunschwäche-Syndrom).
Bisher gibt es Arzneimittel, die bei infizierten Menschen die Vermehrung des Virus hemmen, sodass die Krankheit nicht ausbricht. Außerdem können Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko Medikamente nehmen, die vor einer Ansteckung schützen (PrEP).
An Impfstoffkandidaten wird seit vielen Jahren geforscht – schwierig ist das vor allem, weil das HI-Virus in vielen verschiedenen Varianten vorkommt und sich vergleichsweise schnell verändert. Ebenfalls in weiter Ferne scheint eine Heilung. Wird die antivirale Therapie abgesetzt, kann die Infektion wieder aufflammen.