Jusos ermahnen Pistorius beim Wehrdienst
Aus der SPD kommen Warnungen an Verteidigungsminister Boris Pistorius, beim neuen Wehrdienst auf Pflichtelemente zu setzen. »Aus guten Gründen hat sich der SPD-Parteitag für ein Modell der Freiwilligkeit entschieden«, sagte Juso-Chef Philipp Türmer dem SPIEGEL.»Bei der Pflicht bestehen unüberwindbare rechtliche sowie administrative Probleme, und sie stellt einen massiven Eingriff in das Leben junger Menschen dar.«
Es gebe keinen Grund, auf Zwang zu setzen, wenn man es nicht einmal mit Freiwilligkeit versucht habe, so Türmer. Bislang sei viel davon geredet worden, die Bundeswehr attraktiver zu machen, aber kaum etwas sei passiert.
Pistorius hatte sich beim Parteitag Ende Juni mit den Jusos, die einen kompletten Verzicht auf Pflichtelemente gefordert hatten, auf einen Kompromiss geeinigt. Der Beschluss lautete dann: »Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind.«
Nach SPIEGEL-Informationen wurde in der Regierung hinter den Kulissen in den letzten Tagen erneut um den Gesetzentwurf für den neuen Wehrdienst gerangelt. So hatte das Kanzleramt Ende vergangener Woche in der sogenannten Frühkoordination innerhalb der Koalition überraschend vom Verteidigungsministerium gefordert, den Gesetzentwurf deutlich anzuschärfen. Per Mail ließ Kanzleramtschef Thorsten Frei wissen, er wolle den Gesetzentwurf nur mit »Änderungen und Maßgaben zur Ressortabstimmung« freigeben.
Schwierige Lage für Pistorius
Freis Forderungen hatten es in sich.
So sollte das Wehrressort die verpflichtende Musterung für junge Männer, bisher erst ab Januar 2028 geplant, schon ein Jahr früher starten.
Zudem wollte das Kanzleramt eine Klausel weniger vorsichtig formulieren, die im Gesetz eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht möglich macht, wenn das freiwillige Modell nicht ausreicht.
Ebenso in der Mail verlangte das Haus von Kanzler Merz, Pistorius solle prüfen, ob nicht auch EU-Ausländer für den Dienst bei der Bundeswehr gewonnen werden können.
Im Wehrressort kam das Schreiben nicht so gut an. Zwar ist es normal, dass das Kanzleramt vor der eigentlichen Ressortabstimmung noch Wünsche zu wichtigen Gesetzentwürfen äußert. Dass nun allerdings ausgerechnet Thorsten Frei, schon immer ein Fan der allgemeinen Wehrpflicht, auf die Stärkung von Pflichtelementen in dem Gesetzentwurf drängte, wirkte sich wie eine Provokation aus.
Für Minister Boris Pistorius war es keine einfache Lage. Er selbst ist durchaus ein Freund von etwas mehr Pflicht beim Wehrdienst – der Parteitagsbeschluss der SPD allerdings bindet ihm die Hände.
Trotzdem fand man mit dem Kanzleramt einen Kompromiss. Am Mittwoch unterrichtete Pistorius ausgewählte Koalitionäre, dass die verpflichtende Musterung nun schon ab Mitte 2027 kommt, also sechs Monate früher als bisher geplant. Auch die Formulierungen über eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht sollen angepasst werden.
Der wichtigste Satz aber bleibt. Demnach kann die Bundesregierung eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen, »wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist«. Dieser muss der Bundestag zustimmen.
Union fordert unkomplizierte Rückkehr zur Pflicht
Was wie ein Gezerre um Details wirkt, illustriert einen Grundsatzkonflikt in der Koalition. Während die SPD vehement auf die Freiwilligkeit des neuen Wehrdienstes pocht, will die Union mit allen Mitteln die Möglichkeit einer unkomplizierten Rückkehr zur Wehrpflicht im Gesetz verankern.
Thomas Erndl, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, nennt Pistorius' Gesetzentwurf »deutlich zu kurz gesprungen«. Er garantiere »weder die Erreichung der Personalziele von 260.000 aktiven Soldaten und 200.000 Reservisten« noch erfülle er die Orientierung am schwedischen Wehrdienstmodell, die im Koalitionsvertrag vereinbart sei. Dieses sähe einen fließenden Übergang von zunächst freiwilligem Dienst zu verpflichtenden Elementen vor, sagte der CSU-Politiker dem SPIEGEL.
Thomas Röwekamp (CDU) hält eine weitere Befassung des Bundestags für die Rückkehr zur Wehrpflicht nicht für erforderlich. »Dies muss automatisch möglich sein, wenn die Bundeswehr nicht genügend Freiwillige findet, um den Bedarf zu decken«, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses dem SPIEGEL. »Wenn wir auch nach der Musterung im Sommer 2027 feststellen, dass wir nicht genug Freiwillige finden, muss die Wehrpflicht schnell und ohne erneute Befassung des Bundestages aktiviert werden können.«
In den internen Runden sorgt der Konflikt immer wieder für teils heftige Auseinandersetzungen. So legte sich die SPD-Fraktion beim Gespräch mit Pistorius am Mittwoch fest, es werde in dieser Legislaturperiode keine Wehrpflicht geben. Vielsagend hieß es, nach dem Kabinettsbeschluss werde es sicherlich noch eine lebendige Debatte über das Gesetz geben.
Juso-Chef Türmer warnt nun, die Koalition müsse ganz auf Freiwilligkeit setzen, »statt die Fehler der letzten Jahrzehnte auf Kosten der jungen Generation zu heilen«. Dazu gehöre auch, dass sich »die Koalition im Gesetz keine Hintertür einbaut, um doch wieder junge Menschen zwangsweise einzuziehen«.
Äußerungen aus der CDU würden zeigen, dass die Konservativen jede gesetzliche Option nutzen wollen, um wieder eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen, kritisiert Türmer. »Deshalb sollte die SPD diesen Fantasien zeitnah eine Absage erteilen und eine gesetzlich aktivierbare Möglichkeit zur Wiedereinführung der Wehrpflicht im Gesetz ausschließen.«
Mit Blick auf den Zeitplan ist der Zwist heikel. Geplant ist, dass das Wehrdienstgesetz am 27. August vom Kabinett beschlossen wird, dazu will Kanzler Friedrich Merz seine Minister und Ministerinnen symbolisch im Stauffenbergsaal im Wehrressort versammeln. Für eine hitzige Debatte aber hat die Bundesregierung danach nur noch begrenzt Zeit. Soll der Wehrdienst tatsächlich zum 1. Januar 2026 starten, muss das Gesetz zügig durch den Bundestag.
Gerade wegen der knappen Mehrheit der schwarz-roten Koalition könnte der Widerstand in der SPD noch zum Problem für Pistorius werden.