Conni muss(te) sterben

Liebe Kinder, ihr müsst jetzt tapfer sein. Da ist ein Geständnis fällig: Ich habe Conni umgebracht. Meine mittlerweile (fast) erwachsenen Töchter liebten in jungen Jahren diese Geschichten und Hörbücher aus der heilen Conni-Welt. Mir selbst fielen beim Vorlesen hingegen regelmäßig die Augen zu – vor Langeweile.

Schon die Titel versprühten den Charme artig frisierter Gegenentwürfe zu Max und Moritz: »Conni macht das Seepferdchen«. Hui, dachte ich, da steigt die Spannung am Beckenrand. Diese brave, weiße, deutsche Wohlstandsidylle: das immertolle Töchterchen, Arzt-Mama, Business-Papa. Und natürlich: eine Katze. Benjamin Blümchen erschien im Vergleich zu Conni fast schon wie Batman.

Vermutlich aber hatte ich die kindliche und auch elterliche Sehnsucht nach einer heilen Welt unterschätzt. Wogegen ja im Prinzip nichts einzuwenden ist: Dafür sind Bücher und Fiktionen da. Aber ich vermisste immer die wichtigste Zutat: Fantasie. Brüche oder Tiefe, eine zweite Ebene in der Figur. Conni ist stilistisch und inhaltlich so was wie die Backanleitung für Papageienkuchen. Funktioniert immer, kann man aber irgendwann nicht mehr sehen.

Seit den Neunzigerjahren existierte diese Kinderbuchfigur schon und fütterte Menschen mit der immerselben Botschaft: Alles wird gut – von der ersten Übernachtung, von der Einschulung bis zum Zahnarzt. Millionen Bücher, Hörbücher und Hefte sind mittlerweile verkauft, flankiert von Filmen und demnächst, die Krönung jeder kommerziellen Kinderbuchkarriere, sogar einem Musical.

Da ich der Überzeugung bin, dass man als Eltern auch einen ästhetischen Auftrag hat, brachte ich Conni elegant um die Ecke. Als ordentlicher deutscher Bildungsbürger verbietet es sich, Bücher wegzuschmeißen. Aber wann immer ich konnte, vergaß ich Conni mal in der U-Bahn, auf dem Spielplatz oder, verflixt, es kippte, rein zufällig natürlich, klebriger Saft über das Buch. Letzteres hatte allerdings bei Conni im Pixi-Format keinerlei Wirkung: Pixi-Bücher überstehen auch einen Atomkrieg. Schon mal versucht, einen Grill mit zerfledderten Pixis anzuheizen? 

Jedenfalls schaffte ich es, Conni so, Stück für Stück, zu verbannen, auszusetzen, zu entsorgen und die weiteren, nachgeborenen Kinder vor der Überzuckerung mit süßen Bildern und Erzählungen zu bewahren. Conni war Geschichte, ein cold case väterlicher Meuchelei und Meuterei. Wann immer die Kleinen nach ihr verlangten, sagte ich achselzuckend und mit luzidem Lächeln: Vermutlich ist sie irgendwo zwischen den anderen Büchern nach hinten gerutscht. Du musst nur richtig suchen, zwischen dem Einhorn, dem Grüffelo und Jim Knopf!

So funktioniert Bildungsmanipulation! Conni war für mich gestorben.

Dachte ich.

Denn wenn du gerade glaubst, du hättest einen Safe Space geschaffen, dann schlägt es wieder zu, dieses Internet. Conni reitet wieder, diesmal aber als Zombie der ungefilterten Memes-Zirkulation. Die ersten Mutanten entstanden während der Coronalangeweile, damals noch ziemlich lustig, weil sie mit dem biederen Image der Conni-Figur spielten und sie in neue Zusammenhänge stellten. Hübsche Satire, die aber nur funktionierte, wenn man das Original kennt. Im Prinzip: ein Ritterschlag.

Inzwischen ist es aber – (sic) – kinderleicht mittels KI-Programmen Conni in alle Formen zu pressen, auch sexistische, rassistische, geschmacklose und politisch extreme. Die Memes-Flut an Imitationen hat bei mir eine seltsame Wandlung ausgelöst: Gegen den ganzen Dreck würde ich Conni gern verteidigen, und die gelungenen und tatsächlich lustigen versöhnen mich mit ihr. Weil diese nun eben das haben, was ich immer vermisste: Fantasie und eine zweite Ebene in der Figur.

Der etwas andere Conni-Hype zwang jedenfalls seine Schöpfer zu reagieren, was zum nächsten Missverständnis in der Deutungsgeschichte dieser Figur führte. Dass sich der Carlsen-Verlag gegen die verhetzenden und ekligen Darstellungen wehren wollte mit einer Klarstellung zum Urheberrecht wurde interpretiert als Angriff auf die Memes-Kunst. Der Durchlauferhitzer Internet leistete ganze Arbeit und führte zu einer weiteren Volte im Conni-Leben: Sie wurde weiterentwickelt, wechselte das Geschlecht und den Namen. Sie hat inzwischen mehr Leben als ihre Katze. Einiges ist dabei kultig, anderes nur zum Kotzen.

Aufstieg zur Kult- und Witzfigur

Der Carlsen-Verlag jedenfalls musste dann seine Klarstellung noch mal klarstellen mit dem hübschen, weil endlich auch selbstironischen, Titel: Conni möchte da was klarstellen. Man ist ja nicht doof bei Carlsen und nimmt die kostenlose PR für die Conni-Reihe gern mit, will aber verhindern, dass Conni auf die schiefe Bahn der Geschmacklosigkeit und des Extremismus kommt. Mir nötigt das Respekt ab.

Conni in Freiheit erwachsen werden zu lassen und sie dabei dennoch vor jeder Form von Missbrauch und Absturz zu schützen, welcher Vater von pubertierenden Kindern könnte das nicht verstehen?

Ich jedenfalls grade sehr und leiste nun Abbitte bei Conni. Mich hat der Memes-Hype um das arme Mädchen vieles gelehrt. Wie schnell sich ein Narrativ verändert, wie ausgeliefert wir sind, wenn sich das Internet auf dich stürzt und wie schmal der Grat ist zwischen Kunst, Kommerz und kollektiver Hysterie, zwischen gelungener Satire und billigem Humor, zwischen Kult- und Witzfigur.

Sollte es jedenfalls bei uns an der Tür klingeln und Conni stünde weinend mit einem Koffer und einer Identitätsstörung vor unserer Tür: Wir lassen sie nun wieder rein, kochen Kakao, setzen uns zusammen mit einem Stück Papageienkuchen vor das Bücherregal, kraulen ihre Katze, und ich lese was Schönes vor, zum Beispiel aus: »Die Kackwurstfabrik«. Und am Ende flüstere ich: »Alles wird gut!«

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