Was Eltern und Kinder miteinander, füreinander und voneinander lernen

Unser Sohn ist jetzt in der dritten Klasse. Das bedeutet, dass er angefangen hat, Tests und Arbeiten zu schreiben, und am Ende des Schuljahrs zum ersten Mal ein »richtiges« Zeugnis mit Noten bekommen wird. Anders formuliert: Wir zünden eine neue Antriebsstufe auf unserer Expedition ins Elternuniversum und treten in die Phase des schulischen Leistungsdrucks ein.

Kolleginnen und Kollegen mit älteren Kindern lächeln gutmütig oder lachen hysterisch, wenn ich so etwas sage. Ihr Kopfschütteln sagt: Du hast ja keine Ahnung, was auf euch zukommt. Das mag sein. Ich bin noch nicht gemeinsam mit unserem Sohn ernüchtert vom Bildungssystem, frustriert über unfähige Lehrkräfte oder überfordert vom Stoff. Bisher finde ich die neue Dynamik in unserem Familienleben noch wunderbar spannend.

Unser Sohn soll in Tests nachweisen, dass er die Grundrechenarten beherrscht und ein grundlegendes Leseverständnis hat. Ich finde das sehr vernünftig und habe keinerlei Bedenken, dass ihn die Aufgaben überfordern könnten. Ich weiß, dass er sowohl mit Zahlen als auch mit Wörtern umgehen kann, wenn er es will. Er ist sicher nicht der eifrigste Leser und hat nicht alle Harry-Potter-Bände in zwei verschiedenen Sprachen vor- und rückwärts durchgearbeitet. Aber wenn er sich hinter einem »Lustigen Taschenbuch« verkriecht, lacht er ab und zu.

Er kennt mehr Spieler aus der Bundesliga als ich, weil er ihre Namen und die zugehörigen Vereine auf Sammelkarten liest und sich merkt. Außerdem studiert er mit Vorliebe Fußballergebnisse, simuliert selbst Spiele und stellt damit eigenständig Kalkulationen zu möglichen Tabellenkonstellationen an. Und er schreibt gern, ohne dass man ihn dazu motivieren müsste – im Moment jahreszeitbedingt bevorzugt Wunschlisten.

Ich leite daraus ab, dass er die zentralen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beherrscht, sofern ihn der Inhalt interessiert. Meine Frau ist da deutlich kritischer. Vor allem stellt sie die – berechtigte – Frage, was denn passiert, wenn ihn der Inhalt nicht so sehr interessiert. Denn in Klassenarbeiten geht es vermutlich eher selten um Fußball und die Abenteuer von Donald Duck.

Meine Frau hat einen »Wettbewerbsvorteil«

Meine Frau ist selbst Lehrerin und beobachtet die schulischen Fortschritte unseres Sohns folglich nicht nur als Mutter, sondern auch als Kollegin derjenigen, die ihn bewerten. Und sie weiß natürlich genau, wie sie unseren Sohn dazu bekommt, Dinge zu lernen, die er eigentlich nie lernen wollte. Ich habe meine Frau gefragt, ob der Spagat zwischen elterlicher Zuwendung und ausgeklügelter Didaktik nicht anstrengend sei. Sie sagte, sie empfinde das nicht so. Stattdessen habe sie den Eindruck, sie hätte einen »Wettbewerbsvorteil« gegenüber anderen Müttern.

Die Formulierung ist bei mir hängen geblieben, weil ich nie das Gefühl hatte, ich stünde wegen unseres Sohns mit irgendwem im Wettbewerb. Aber ich verstehe, was sie meint, und beobachte das bei vielen Eltern – sei es in der Schule, beim Buhlen um Freundschaften oder im Sportverein. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Und für viele scheint das auch zu bedeuten, dass die eigenen Kinder besser abschneiden müssen als andere. Schulnoten verstärken das. Denn auch wenn eine 2 objektiv »gut« und immer eine 2 ist, macht es für die subjektive Bewertung und das Gefühl einen Unterschied, ob alle anderen eine 1 oder eine 4 haben.

Zurück zu den Arbeiten und Tests: Während ich also denke, dass unser Sohn die ihm bislang gestellten Aufgaben gut meistern wird, und deshalb nicht den Impuls habe, ihm übermäßig bei der Vorbereitung zu helfen, übt meine Frau sehr viel mit ihm. Ich finde ihren Einsatz beeindruckend. Und wenn er am Ende mit dem Ergebnis zufrieden ist und daraus ableitet, dass sich das Lernen gelohnt hat, hat sie alles richtig gemacht.

Warum gibt’s eigentlich keine A/B-Tests in der Erziehung?

Allerdings frage ich mich auch, ob es nicht nachhaltiger sein könnte, ihn sich selbst zu überlassen. Zum einen denke ich, er könnte sich dann bei einer guten Leistung noch selbstwirksamer fühlen. Zum anderen müsste er aus eventuellen Rückschlägen dann eigenständig den Schluss ziehen, dass er mehr investieren muss. Und schließlich habe ich Respekt davor, dass wir aus der Rolle der antreibenden Eltern schwer wieder rauskommen, wenn wir jetzt schon damit anfangen.

Ich habe keine Antworten auf die Fragen. Wie ich an dieser Stelle schon häufiger geschrieben habe, wünschte ich, dass man in der Erziehung A/B-Tests machen könnte. Also unterschiedliche Wege parallel zueinander ausprobieren, um zu schauen, welcher besser funktioniert. Ich habe mich damit abgefunden, dass wir immer nur einen Weg gehen können. Und den, so viel glaube ich auch verstanden zu haben, gehen wir als Eltern im Idealfall zusammen. Deswegen übe ich auch Dinge mit unserem Sohn, von denen ich denke, dass er sie schon kann, und bin vollkommen überzeugt, dass es das Beste für ihn ist. Dafür brauche ich keinen Vergleich mit anderen, denn in meiner Welt können wir alle die Besten sein.

Wie blicken Sie auf die Schule, Leistungsnachweise und Zensuren? Unterstützen Sie Ihre Kinder beim Lernen eher mehr oder weniger? Und vergleichen Sie sich und Ihre Kinder mit anderen? Schreiben Sie es mir gern an familiennewsletter@.de .

Meine Lesetipps

Unsere Elternkolumnistin Fatma Mittler-Solak hat sich in dieser Woche auch mit dem Thema Schule und ihrem Engagement beim Lernen auseinandergesetzt. Ihre Kinder sind deutlich älter als mein Sohn, sodass in ihrem Leben Französisch und Chemie schon wieder eine Rolle spielen. Was das mit ihr macht, wann und wie sie zu Hause ChatGPT einsetzt und warum die Lehrer davon besser nichts erfahren sollten, können Sie in diesem sehr schönen Text nachlesen .

Die Frage, auf welche weiterführende Schule unser Sohn wechselt, stellt sich glücklicherweise bislang nicht. Wir haben noch ein Jahr Schonzeit. Wie schwer es dann wird, was man alles in Betracht ziehen muss und welche Rolle auch dabei Leistungsdruck spielt, hat meine Kollegin Anna Clauß im März dieses Jahres in einer Kolumne aufgeschrieben. Ich habe mir den Text abgespeichert und werde ihn bestimmt wieder hervorholen, wenn es bei uns so weit ist. Hier können Sie ihn lesen und im Zweifel bookmarken .

Und wo wir bei Leistungsdruck sind: Meine Kollegin Silke Fokken hat schon im vergangenen Jahr mit dem Schulpsychologen Hans-Joachim Röthlein darüber gesprochen, was unangekündigte Tests bei Schülerinnen und Schülern auslösen können. Das Interview mit dem schönen Titel »Das grenzt an Irrsinn« finden Sie hier .

Das jüngste Gericht

Weihnachten naht, höchste Zeit für kulinarische Vorbereitungen. Ich selbst bin leidenschaftlicher Plätzchenbäcker. Falls Sie Stollen mögen und für die Feiertage einen vorbereiten wollen, haben wir hier ein wunderbares Rezept für Sie. Und keine Angst: Noch ist es nicht zu spät. Man soll Stollen zwar nie ganz frisch gebacken essen, aber wie Sie im Rezept erfahren, reicht es zur Not, ihn »mindestens eine Woche durchziehen« zu lassen. Nebenbei bekommen Sie im Interview, das meine Kollegin Maren Keller für unser EXTRA GENUSS mit der Dresdner Konditorin Elisabeth Kreutzkamm-Aumüllers geführt hat, noch ein paar wichtige Tipps zur richtigen Lagerung und – ganz wichtig – zum korrekten Aufschneiden des Stollens. Bitte hier entlang und dann: guten Appetit! 

Mein Moment

Für einen besonders schönen Moment der vergangenen Wochen ist Stefan verantwortlich. Vielleicht erinnern Sie sich: In einer vorherigen Ausgabe dieses Newsletters sinnierte ich darüber, wie lang die Freundschaften meines Sohns wohl halten werden. Dabei dachte ich an meinen Grundschulfreund Stefan zurück, den ich seit Ewigkeiten nicht gesehen habe, obwohl ich weiß, dass er inzwischen wieder in der Nähe meines (und seines) Elternhauses wohnt.

Nun erhielt ich folgende Mail:

»Hallo Malte,

ich habe heute zufälligerweise deine Mutter getroffen, und sie berichtete mir über deinen Artikel, in dem du mich erwähnt hast. Melde dich gern mal bei mir und schau auf einen Kaffee (Synonym für alle möglichen Getränke) vorbei. Würde mich freuen, auch wenn deine wie auch meine Zeit immer begrenzt ist durch Familie, Beruf und alle anderen Dinge.

Dein alter Klassenkamerad
Stefan«

Wir sind im Austausch und bemühen uns darum, einen Termin zu finden, um uns noch vor Weihnachten zu sehen. In einer späteren Mail schrieb er mir, dass sein Sohn jetzt auf unserer alten Grundschule ist. Insofern haben wir – neben unserer gemeinsamen Vergangenheit – auch viele Themen aus unserer aktuellen Lebensrealität, über die wir sprechen können.

Genießen Sie die Adventszeit!

Herzlich,
Ihr Malte Müller-Michaelis 

Schulkind beim Ausüben der Kulturtechnik Schreiben

Foto:

Kniel Synnatzschke / plainpicture

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