Deutsche Forscher entdecken Alternative zu Federn bei »Wunderreptil«
Manchmal steckt das Wunder der Natur im Offensichtlichen und vordergründig Unspektakulären, zum Beispiel in Haaren oder Federn. Die verleihen Tieren nicht nur ein besonderes Aussehen, sondern helfen auch noch bei der Wärmeregulierung, der Kommunikation oder beim Balzen. Ein internationales Forschungsteam hat nun einen besonderen Fokus auf solche Hautauswüchse gelegt – und eine bisher völlig unbekannte Form entdeckt.
Das Forschungsteam um Stephan Spiekman vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart berichtet von diesen extrem alten, komplexen Auswüchsen, gefunden in Reptilienfossilien: Der nur einige Zentimeter große Mirasaura grauvogeli lebte vor etwa 247 Millionen Jahren und trug einen bizarren, hoch aufragenden Rückenkamm.
Dieser Kamm bestand aus einzelnen, sich dicht überlappenden Hautauswüchsen, die Blättern von Farnen ähnelten: Sie wiesen zwar jeweils eine federartige Kontur mit schmalem Mittelgrat auf, aber es fehlten jene filigranen, verzweigten Strukturen – sogenannte Federäste –, die für Federn typisch sind.
Mirasaura liefert neue Erkenntnisse
Die Stuttgarter Mirasaura-Fossilien wurden in den Dreißigerjahren im Elsass von Louis Grauvogel entdeckt – nach dessen Namen die Art benannt wurde: Mirasaura grauvogeli – Grauvogels Wunderreptil. Die private Grauvogel-Sammlung ging 2019 an das Stuttgarter Naturkundemuseum. Dort wurden die farnartigen Hautauswüchse erkannt.
Die Eigenheiten des »Wunderreptils« hätten sich unabhängig von den Hautauswüchsen der Vögel und Dinosaurier entwickelt, schreibt die Forschungsgruppe. Die früheste bekannte Dinosaurierfeder ist etwa 150 Millionen Jahre alt – also rund 100 Millionen Jahre jünger.
»Mirasaura liefert den ersten direkten Beweis, dass komplexe Hautauswüchse in der Erdgeschichte deutlich früher entstanden sind als bisher angenommen«, sagt Erstautor Spiekman. Zu jener Zeit waren die Dinosaurier gerade erst im Entstehen begriffen.
In einer Schicht des etwa fünf Zentimeter hohen Rückenkamms fand das Team winzige Organellen mit Melaninpigmenten. Diese sogenannten Melanosomen unterscheiden sich von denen in Säugetierhaaren und Reptilienschuppen, ähneln aber denen in Federn. Der auffällige Rückenkamm der Echse diente vermutlich dazu, Artgenossen zu imponieren.
»Mirasaura grauvogeli zeigt, wie überraschend und vielfältig Evolution sein kann«, sagt Co-Autor Rainer Schoch, Leiter der Paläontologischen Abteilung des Stuttgarter Naturkundemuseums. »Sie hat bereits sehr früh – lange vor den Dinosauriern – eine unerwartete Alternative zur Feder entwickelt. Solche unabhängigen Entwicklungen ähnlicher Strukturen verdeutlichen das enorme Potenzial der Evolution.«
Das Wunderreptil, eine bizarre Kreatur
In der Studie präsentiert das Team weitere Details des »Wunderreptils«, das wohl in Bäumen lebte: Der Schädel von Mirasaura war nur 1,7 Zentimeter lang und vogelähnlich, obwohl das Reptil nicht eng mit den Ahnen von Vögeln verwandt ist. Die schmale, fast zahnlose Schnauze diente vermutlich dazu, Insekten aus engen Baumhöhlen herauszuziehen.
Mirasaura zählt zu besonders bizarren Kreaturen der Triaszeit, die grob von vor 250 Millionen bis vor etwa 200 Millionen Jahren reichte: den Drepanosauriern. Die Baumbewohner trugen greiffähige Vordergliedmaßen, zum Teil große Krallen, lange, tonnenförmige Körper und einen langen Schwanz, mit dem sie sich an Ästen festhalten konnten.
»Drepanosaurier sind erst seit wenigen Jahrzehnten bekannt und zeigen viele ökologische Anpassungen«, sagt Co-Autor Hans Sues vom National Museum of Natural History in Washington. »Mirasaura lebte in den ersten Wäldern nach dem großen Massenaussterben am Perm-Trias-Übergang.« Dieses Massensterben erfolgte vor etwa 252 Millionen Jahren.
In einem Kommentar zur Studie schreibt Richard Prum von der Yale University in New Haven im US-Bundesstaat Connecticut: »Die Hauptbotschaft von Spiekman und Kollegen ist, dass die evolutionären Fähigkeiten der Reptilienhaut viel merkwürdiger sind als bislang gedacht.« Neben Federn seien Reptilien noch andere erstaunliche Auswüchse aus ihrer Haut gewachsen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde New Haven als US-Bundesstaat bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um eine Stadt im Bundesstaat Connecticut. Wir haben die Stelle korrigiert.
Forscher Stephan Spiekman mit dem Fossil von Mirasaura
Foto: Yannik Scheurer / SMNS / dpaIllustration von Mirasaura
Foto: Rick Stikkelorum / SMNS / dpa