Wie Wind- und Solarenergie Europas Sicherheit garantieren

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat einen erstaunlichen Wandel durchgemacht. Einst wurde sie gegründet, um die Ölkrise 1973/74 zu meistern. Damals schossen die Ölpreise binnen Wochen auf Rekordhöhen. Die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten nutzte Öl als politische Waffe gegen die westlichen Industrieländer, die Israel militärisch unterstützten. Die Folgen waren weltweit steigende Preise, Inflation, stagnierende Volkswirtschaften.

Damit das nicht noch mal passiert, sollte die IEA mit Sitz in Paris vor solchen Energiekrisen frühzeitig warnen. Über viele Jahrzehnte sprach sich die Agentur für den Ausbau von fossilen Energiequellen wie Öl, Erdgas und Atomkraft aus. Das änderte sich nach der Jahrtausendwende, als sie immer stärker auch das Potenzial von erneuerbaren Energien erkannte. Seit der Energiekrise 2022 warnt sie nun regelmäßig vor schwer abschätzbaren Gefahren des weltweiten Handels mit Öl und Erdgas. Das Risiko neuer Verwerfungen sei »sehr hoch«, heißt es etwa im World Energy Outlook 2024.

Das Rezept der IEA gegen neue Krisen bei der Energieversorgung ist heute: mehr erneuerbare Energien, also Strom aus Wind, Sonne und Wasser.

Dieses Mantra wiederholte die Agentur auch auf dem Gipfel zur Zukunft der Energiesicherheit, der in dieser Woche in London stattfand. »Saubere Energien sind nicht nur ein Gebot des Klimaschutzes, sondern auch ein dringendes Gebot der nationalen Sicherheit«, schreiben die beiden Gipfel-Gastgeber, der britische Energieminister Ed Miliband und IEA-Chef Fatih Birol  in einer gemeinsamen Erklärung. Großbritanniens Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen habe »Familien und Unternehmen hart getroffen«, heißt es weiter. Die Antwort darauf müsse sein, Erneuerbare auszubauen, für »Energiesicherheit, niedrigere Rechnungen, gute Arbeitsplätze, Wachstum und zur Bewältigung der Klimakrise«.

Ähnliche Aussagen gab es auch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ebenfalls an dem Treffen in London  teilnahm und am Donnerstag eine Rede hielt. »Wir Europäer haben erlebt, wie Russland Energielieferungen als Waffe eingesetzt hat«, so von der Leyen. Auch der Nahostkonflikt bedrohe die Schifffahrt und damit den internationalen Handel mit Flüssigerdgas und Öl. »Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind der Schlüssel für mehr Sicherheit für Millionen Menschen auf der Welt«, so die EU-Kommissionspräsidentin.

Russische Gasdeals und die Macht der Öllobby

Die Energiekrise im Jahr 2022 war für viele Europäer eine Zäsur. Damals stoppte die russische Regierung die Gaslieferungen durch die Ostseepipelines, schließlich zerstörte ein Anschlag die Röhren fast vollständig. Die Gaspreise schossen auf Rekordhöhen, die Angst vor einer Gasknappheit lähmte die Wirtschaft.

Trotz des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine gibt es bis heute kein Embargo auf russisches Erdgas. Auch deutsche Unternehmen importieren weiterhin Flüssiggas aus Sibirien. In unserer SPIEGEL-Recherche  zum staatlichen Gasunternehmen Sefe, früher Gazprom Germania, decken wir fragwürdige Geschäfte auf. (Hier finden Sie ein Video-Special dazu in unserem Format »Shortcut«).

Drei Jahre nach der Gaskrise wird nun ein weiterer Energiepartner zum Problem: die USA. Die EU steht unter zunehmendem Druck, mehr amerikanisches Flüssiggas zu kaufen. Das ist auch Teil der Zollverhandlungen, Trump drohte mit höheren Zöllen, sollten die Europäer nicht mehr US-Erdgas kaufen. Andere Länder wie Katar nutzen Gasgeschäfte wiederum, um sich in Klimaverhandlungen eine stärkere Position zu erkaufen und so mögliche Bemühungen zum Klimaschutz abzuschwächen. Die EU und Deutschland sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit von Gas so erpressbar wie nie zuvor.

Deutschland importiert etwa 95 Prozent seines Erdgases und rund 98 Prozent seines Erdöls. Ohne diese beiden Brennstoffe geht hierzulande wenig: Fast 80 Prozent aller verbrauchten Energie stammt aus fossilen Quellen, vorwiegend Fabriken, Autos und Heizungen laufen noch damit. Den Rest liefern Wind, Sonne und Biogas.

Das Verhältnis soll sich bald umkehren, so sagen es die EU-Kommissionspräsidentin und IEA-Chef Birol voraus. Laut den Analysen der Agentur ist das auch der globale Trend:

  • 2024 wurden weltweit 17 Millionen Elektroautos verkauft, das waren drei Millionen mehr als im Vorjahr

  • Ein Drittel der weltweiten Stromerzeugung  kam aus erneuerbaren Energien: Wasserkraft machte 14 Prozent aus, Windkraft acht Prozent, Photovoltaik sieben Prozent

  • 80 Prozent der Kraftwerke, die weltweit im Jahr 2024 neu gebaut wurden, gewinnen Energie aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Wasser

Die IEA geht davon aus, dass die weltweite Ölnachfrage bis 2030 ihren Höchststand erreichen wird. Mit solchen Prognosen macht sich die Agentur viele Feinde. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (Opec) bezeichnete etwa das Ende von Erdöl als Energiequelle in absehbarer Zeit als »Fantasie«. Öl und Gas machten heute weit über die Hälfte des Energiemixes aus, »und das dürften sie im Jahr 2050 auch noch tun«, erklärte Opec-Generalsekretär Haitham al Ghais im vergangenen Jahr.

Auch die neue US-Regierung hält nichts von den IEA-Prognosen: »Netto-Null bis 2050 ist einfach Unsinn«, sagte US-Energieminister Chris Wright vor einigen Wochen im US-Nachrichtensender CNBC . Er bezeichnete das Ziel, die Atmosphäre bis 2050 mit keinen neuen Treibhausgasemissionen zu belasten, als »ein Mandat, menschenfeindliche Dinge zu tun«. Wright reiste nicht zur IEA-Konferenz nach London, sondern schickte seinen Angestellten Tommy Joyce, kommissarischer Staatssekretär im Büro für internationale Angelegenheiten des US-Energieministeriums. Joyce erklärte auf der Konferenz am Donnerstag, Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, würde zu Stromausfällen führen und die Abhängigkeit von China verstärken. Unterstützt wurde er wenig überraschend von Ölländern wie dem Irak und Ägypten.

Die Welt, so scheint es, zerbricht gerade in zwei Lager. Doch je schneller große Energiemärkte wie die EU von Öl und Gas wegkommen, desto schwieriger dürfte es für das zweite Lager der Öl- und Gasexporteure werden. Gibt es keine Diesel, Benziner und Gasheizungen mehr, sind fossile Rohstoffe wertlos.

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Bleiben Sie zuversichtlich!

Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft

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