Der Solarvorreiter in Europa? Ungarn, ausgerechnet!
Über das Thema Energiewende zanken die Deutschen mit Hingabe. Wer zahlt wie viel für den Ausbau der Erneuerbaren? Sind die Dinger hübsch oder hässlich – und ist es gerecht, sie zur Pflichtausstattung neuer Dächer zu machen? Fragen über Fragen, Streit über Streit. Unterdessen kommt der Ausbau der Photovoltaik in Deutschland zwar voran, aber doch eher langsam. Anderswo geht das auf verblüffende Weise anders – friedlicher, effektiver, leiser und schneller.
Ein Land in Europa deckt zumindest im Sommer bereits mehr als 40 Prozent seines Bedarfs nur über Solarmodule. Das ist Weltrekord. In diesem Staat hat sich der Anteil des dreckigen Kohlestroms in den vergangenen fünf Jahren sogar halbiert. Widerstand gegen den massiven Ausbau der Solarenergie gab es keinen, die Anlagen wurden einfach ohne Diskussion oder Streit in großer Zahl auf Dächer und Felder gesetzt. Es gab nicht einmal einen politischen Plan, dies zu tun; es ist einfach so geschehen. Dieses Solarwunderland heißt: Ungarn.
Ausgerechnet. »Während der rechtsautoritäre Ministerpräsident Viktor Orbán kaum eine Gelegenheit auslässt, die ambitionierten Klimaziele der EU zu torpedieren, soll sein eigenes Land bis 2050 klimaneutral werden«, schreibt meine Kollegin Pinar Dogantekin. Sie ist nach Budapest gereist, um sich anzuschauen, wie gerade diesem Staat quasi en passant ein solcher Erfolg in der Energiewende gelingen konnte. Drei Dinge waren dabei offenbar entscheidend:
Der Preisverfall bei den Solarpaneelen aus zumeist chinesischer Produktion, der immer noch anhält.
Ein Großteil der nötigen Mittel stammt aus Brüssel. Die EU ist in Orbáns Welt zwar ein Gegner, das gilt aber nicht für ihr Geld.
In Ungarn hat sich in Energiefragen ein schlichter Pragmatismus durchgesetzt.
Mit dem Solarboom wolle das Land »nicht die Welt verbessern«, schreibt Pinar, »sondern teure Stromimporte aus dem Ausland reduzieren«.
Das scheint zu gelingen. Die Einfuhr ausländischen Stroms könnte schon 2030 nicht mehr nötig sein. Diese Entwicklung macht ungarische Politiker und Umweltschützer gleichermaßen froh: »Dem Klima ist es egal, wer es rettet«, so zitiert Pinar einen ungarischen Energieexperten. Lesen Sie den Text über Ungarns ungewöhnlichen Solarboom hier .
Herzlich
Ihr Marco Evers
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Solarpark in Ungarn: Friedlicher, effektiver und schneller als in Deutschland
Foto: Akos Stiller / DER SPIEGEL