Bill Gates’ Kampf gegen einen Strohmann
Gleich »drei harte Wahrheiten über das Klima« kündigt Microsoft-Gründer Bill Gates an. Das wirkt stärker als die »eine unbequeme Wahrheit«, wie ein Dokumentarfilm mit Ex-US-Vizepräsident Al Gore hieß, der 2006 über die drohende Klimakatastrophe aufrütteln wollte. Man kann den neuen Kommentar von Gates auch als direkte Gegenposition zu Gore lesen – und zu dem, was Gates selbst jahrelang vertrat. In diesem Sinn jedenfalls greifen rechte Klimaskeptiker ihn begierig auf. Und Gates selbst formuliert so, dass er das Werk als kalkulierte Provokation kurz vor der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém verstanden wissen will: »Ich weiß, dass einige Klimaschützer mir widersprechen und mich einen Heuchler nennen werden.«
Dafür allerdings wirken die »drei harten Wahrheiten« bei näherem Hinsehen erstaunlich weich.
Gates wendet sich gegen eine Sicht, die er mit einem ausgedachten Zitat beschreibt: »In wenigen Jahrzehnten wird ein kataklystischer Klimawandel die Zivilisation vernichten.« Ausgedacht ist das Zitat deshalb, weil sich in der seriösen Klimawissenschaft, in der etablierten Klimapolitik oder auch in der aktivistischen Bewegung kaum Belege für einen derart zugespitzten »Doomerismus« finden lassen. Eine solche rhetorische Figur nennt sich Strohmann: Man stellt sich einen Gegner hin, den man leicht schlagen kann, weil nichts dahinter ist.
Rückschritte klammert Gates aus
Die gängige, durch Studien und Modelle untermauerte Befürchtung heißt eben nicht, dass wir in Kürze alle sterben werden oder gleich die Welt untergehen wird. Sondern, dass sich zerstörerische Naturkatastrophen häufen und die Lebensbedingungen für die Menschheit verschlechtern werden, wobei Menschen wie Gates wohl immer die Mittel haben werden, um sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Viele andere trifft es härter, das ist die wirklich harte Wahrheit – die Gates auch anerkennt. Das Problem müsse dringend gelöst werden, schreibt er. Es bedeute einen großen Unterschied, ob die Menschheit es bald schafft, den Ausstoß von Treibhausgasen zu stoppen, sodass die Erde sich in diesem Jahrhundert wohl um 1,9 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmt – oder ob sie beim jetzigen Anspruch im Klimaschutz bleibt und die Erderwärmung auf 2,9 Grad treibt. Jedes Zehntelgrad Erderwärmung mehr verursache teure Schäden und treffe vor allem die Armen.
Schlimmere Szenarien mit Rückschritten im Klimaschutz oder als Folge des Überschreitens natürlicher Kipppunkte klammert Gates freilich aus. Für ihn scheint einfach festzustehen, dass die Welt auf erneuerbare Energien umstellt, bald alle Autos elektrisch fahren und darüber hinaus technische Lösungen etabliert werden, um die schwerer von fossilen Brennstoffen zu lösenden Sektoren wie Zement- und Stahlindustrie auch noch zu dekarbonisieren (gefolgt von einem langen Werbeblock für Start-ups mit diesem Ziel, in die Gates’ Initiative Breakthrough Energy investiert hat).
»Harte Wahrheit« Nummer zwei: Man könne den Fortschritt im Klimaschutz nicht bloß an der globalen Temperatur messen, sondern müsse auch darauf achten, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Dagegen könne eigentlich niemand etwas haben, schreibt der Multimilliardär. Der Beleg für seinen Clou, dass es eben doch so sei, bleibt jedoch schwach: So habe mal ein Entwicklungsland – gemeint ist wohl Sri Lanka 2021 – schlagartig den Einsatz chemischer Dünger verboten, auf diese Weise die Bauern und die Ernährung der Bevölkerung unnötig in Not gestürzt. In Wahrheit wollte die damalige Regierung mit ihrem tatsächlich überhasteten Zwang zum Ökolandbau wohl eher Devisen sparen als einem irrationalen grünen Diktat folgen.
Das Framing könnte unerwünschte Folgen haben
»Harte Wahrheit« Nummer drei: Gesundheit und Wohlstand schützten die Menschen am besten gegen die Folgen des Klimawandels. Gates gibt an zu fürchten, dass kein Geld übrig bleibt für die Malariaprävention oder die Verteilung von Impfstoffen, die mit geringem Aufwand viel mehr Menschenleben retten könnten. Das erinnert ein wenig an die Logik des sogenannten effektiven Altruismus: Nicht jeder gute Zweck sei gleich gut, weil ein Dollar nur einmal ausgegeben werden könne. Deshalb solle man sich auf die wirksamsten Hilfsmaßnahmen konzentrieren, und dabei könnte der Klimaschutz hinten runterfallen. Mit dieser These machte einst der Autor Bjørn Lomborg Furore. So aber argumentiert Bill Gates ausdrücklich nicht. Er erklärt es für möglich und für nötig, sowohl Epidemien als auch die Klimakrise zu bekämpfen.
Das eine gehe gar nicht ohne das andere, meint die Klimawissenschaftlerin Katharine Hayhoe von der Texas Tech University – weil die Klimakrise jedes andere Problem wie Krankheiten oder Hunger verschärfe und deren Lösung behindere. Den Inhalt des Gates-Textes finde sie »größtenteils solide und ermutigend«, schreibt Hayhoe auf der Plattform Bluesky. Nur das Framing sei »völlig daneben«. Und diese Botschaft, einer der großen Unterstützer des Klimaschutzes wende sich von der Sache ab, werde zu schlechten Entscheidungen führen.
Wenn Sie mögen, informieren wir Sie einmal in der Woche über das Wichtigste zur Klimakrise – Storys, Forschungsergebnisse und die neuesten Entwicklungen zum größten Thema unserer Zeit. Zum Newsletter-Abo kommen Sie hier.
Die Themen der Woche
CO₂-Bilanz von Pkw-Antrieben: Elektroautos schlagen Verbrenner deutlich im Klimavergleich – sogar in den USA
Wissenschaftler haben den Emissionsausstoß bei batterieelektrischen Fahrzeugen und Benzinern in den USA verglichen. Das Ergebnis: In den ersten beiden Jahren stoßen Elektroautos mehr CO₂ aus. Danach kippt die Bilanz.
Emissionshandel ab 2027: Neuer CO₂-Preis der EU dürfte Tanken und Heizen in Deutschland kaum teurer machen
Eigentlich soll ein neuer CO₂-Preis ab 2027 den Klimaschutz in Europa vorantreiben. Doch die EU-Kommission will den Plan so abschwächen, dass er zumindest hierzulande anfänglich nur noch einen geringen Effekt hätte.
Wirbelsturm »Melissa« vor Jamaika: Müssen wir die Hurrikan-Skala für die Zukunft anpassen?
Mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 280 Kilometern pro Stunde erreicht der Wirbelsturm »Melissa« den Inselstaat Jamaika. Ein Meteorologe erklärt, warum der Hurrikan so stark werden konnte. Und ob heftige Stürme häufiger werden.
»Düsteres und unbestreitbares Bild«: Klimakrise kostet jährlich schon Millionen Menschenleben
Zwölf von 20 Indikatoren für klimabedingte Gesundheitsgefahren haben einem Bericht zufolge Rekordwerte erreicht. Die Verfasser sprechen von einer »beispiellosen Bedrohung für Gesundheit und Leben weltweit«.
Ölförderung in der Arktis: Klimaaktivisten scheitern mit Klage gegen Norwegen
Weil Norwegen seine Öl- und Gasförderung in der Arktis vorantreibt, klagten Aktivisten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser entschied nun zugunsten der Regierung in Oslo.
Vor Uno-Klimakonferenz: Bill Gates plädiert für Wende in der globalen Klimapolitik
Im Vorfeld der Klimakonferenz fordert Bill Gates einen Kurswechsel in der globalen Klimapolitik: Er glaube nicht, dass die Welt untergehe. Es gebe Wichtigeres zu tun, als Temperaturziele zu verfolgen.
Lärmbelästigung durch den Geräteschall: So vermeiden Sie Nachbarschaftsstreit wegen der Wärmepumpe
Sie erzeugen Wärme, aber brummen und rauschen dabei: Luft-Wasser-Wärmepumpen. Das sorgt immer wieder für Konflikte in der Nachbarschaft. Was Eigentümer tun können, um den Frieden zu wahren. Eine Anleitung.
EU-Klimapolitik: Evonik-Chef fordert Reform der CO₂-Abgabe
In einem Interview hat Evonik-Chef Kullmann scharfe Kritik am europäischen Emissionsrechtehandel geübt. Er verschaffe Staaten mit niedrigeren Standards einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Bleiben Sie zuversichtlich.
Ihr Arvid Haitsch,
Redakteur Mobilität