Superstürmer Davie Selke lässt den HSV von alten Zeiten träumen
Nach Davie Selkes nächstem Doppelpack gegen den 1. FC Kaiserslautern wird der Bundesliga-Aufstieg des HSV immer wahrscheinlicher. Ganz Hamburg träumt und erinnert sich zurück an einen alten Helden. Denn Selkes Vorbild Horst Hrubesch verzauberte einst die Hansestadt - und führte den HSV zu großen Triumphen.
Der Doppeldeckerbus ätzte im Sommer 1982 durch die Straßen von Hamburg. Der HSV war gerade Deutscher Fußballmeister geworden, da versagte das alte Gefährt aus London an einer Anhöhe. Das eingeschworene Titel-Team um Ditmar Jakobs, Jimmy Hartwig und Manfred Kaltz dachte sich ohne zu zögern: Da hilft ja alles nichts und schob den Bus die Anhöhe hinauf. Doch nur wenige Meter danach war allen klar - hier geht gar nichts mehr. Und so tuckerte ein Traktor zu Hilfe und zog den Bus durch die Straßen.
Doch die Probleme waren noch nicht zu Ende. Denn dann hingen plötzlich auch noch die Ampeln viel zu tief. Und so warnte ein besorgter Polizist die Profis vor der potentiellen Gefahr. Doch Torjäger Horst Hrubesch meinte nur: "Keine Angst, die köpf ich alle weg!" Da störte es am Ende auch nicht mehr, dass einige Jacketts nach einem Eier-Bewurf von Punkern geopfert werden mussten. Eins der Eier bekam Hrubesch sogar direkt vor die Stirn. Seine Mannschaftskollegen grinsten aber nur: "Mensch, Horst, jetzt ist aber auch mal gut. Du musst doch nicht alles mit dem Kopf nehmen."
Unglaubliche 27 Tore hat eben dieser Mann aus Hamm damals erzielt und maßgeblich zum Triumph des Hamburger SV in der Bundesliga beigetragen. Horst Hrubesch war damals in der Saison 1981/82 dreißig Jahre alt. Genau wie heute ein gewisser Davie Selke. Und auch wenn auf den ersten Blick die Parallelen zwischen den beiden Stürmern nicht sofort ins Auge fallen, verbindet die beiden ambitionierten Torjäger doch eine ganze Menge. Denn Horst Hrubesch, der nach einer langen, erfolgreichen und wechselvollen Karriere als Nachwuchsdirektor des Nachwuchsleistungszentrums zum Hamburger SV zurückgekehrt ist, ist so etwas wie Davie Selkes Vorbild. Der HSV-Stürmer sagt über ihn: "Horst Hrubesch und ich haben eine ganz eigene Beziehung."
"Er wird seinen Weg gehen"
Und diese spezielle Verbindung begann in der U18-Nationalmannschaft. Selke schwärmt heute noch immer von seinem damaligen Coach Horst Hrubesch ("Von ihm habe ich mit am meisten gelernt"), wiewohl Selke damals "alles andere als einen leichten Stand" bei seinem Trainer hatte: "Obwohl ich eigentlich immer getroffen habe, hat er mich in jedem Spiel ausgewechselt. Ich hab' getroffen - raus. Ich hab' nicht getroffen - dann sowieso raus. Bei ihm wusste ich zu der Zeit nie genau, woran ich bin. Ich habe auch immer schön von ihm auf den Deckel bekommen."
Es hat Jahre gedauert, bis der heutige Superstürmer des HSV begriffen hat, was Hrubesch mit dieser besonderen Art bezwecken wollte: "Er wusste, wenn ich klar in der Birne bleibe, kann ich meinen Weg machen. Am Anfang habe ich das nicht verstanden, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür." Und tatsächlich war der Europameister von 1980 schon immer ein großer Fan und Förderer von Selke.
Als es bei den Olympischen Spielen 2016 - die Deutschland übrigens mit dem Gewinn der Silbermedaille abschloss - zwischenzeitlich harsche Kritik an Selkes zahlreichen ausgelassenen Torchancen hagelte, warf sich Hrubesch für ihn energisch und voller Überzeugung in die tosende Brandung: "Es geht ja nicht immer darum, dass der Mensch die Tore machen muss. Wenn man sieht, wie er arbeitet, wie er die Bälle holt - das ist einfach seine große Klasse. Wovon reden wir hier eigentlich? Er ist eine absolute Größe hier bei uns in der U 21 und er wird sowieso seinen Weg gehen."
Auf Umwegen zum Torheld
Mit dieser Prognose sollte Horst Hrubesch recht behalten, auch wenn es seit diesen Tagen vor neun Jahren bei Davie Selke nicht immer steil aufwärts ging in seiner Laufbahn. Immer wieder warfen den Mann aus Schorndorf in Baden-Württemberg Verletzungen aus der Bahn. Seine Fehlzeiten konnten schon einmal ein Drittel einer Saison ausmachen. Zudem wechselte Selke fleißig die Vereine. Das berühmte "bedingungslose Vertrauen", das gerade Stürmer brauchen, schenkten ihm in seiner Karriere nur wenige Trainer. Und dann stand sich Selke dazu immer wieder auch ein wenig selbst im Weg: "Ich bin echt nicht geduldig, in keinerlei Hinsicht. Auch auf dem Platz war Geduld nie meine Stärke. Schon in der Jugend galt ich als Heißsporn. Da hieß es: Der will zu viel. Der will zu früh zu viel."
Das mit der Ungeduld sei mittlerweile besser geworden, hat der Torjäger unlängst gemeint - und sich nach seinen beiden Treffern und dem wichtigen Heimsieg gegen einen der direkten Konkurrenten um den Aufstieg vor allem über eine Sache gefreut: "Es ist brutal, wie ich von den Mitspielern bedient werde. Ich bin einfach nur happy, hier in der Truppe zu sein, so von den Jungs eingesetzt zu werden und die Dinger auch zu verwerten." Und tatsächlich ist die Regelmäßigkeit, mit der Davie Selke in dieser Spielzeit seine Chancen verwertet, beeindruckend. Vor allem eine Zahl lässt aber in Hamburg die (älteren) Fußballfans aufhorchen: Acht seiner 16 Treffer erzielte Davie Selke in dieser Saison bereits mit dem Kopf!
Der Superstürmer muss den Aufstieg sicherstellen
Eine Stärke, die er sich offensichtlich von einer alten HSV-Legende abgeschaut hat. Denn in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" meinte der neue Hamburger Superstürmer vor einigen Jahren bereits: "Hrubesch könnte man heute noch in den Sturm stellen. Mit dem Laufen wäre es vielleicht ein bisschen schwierig, aber Abschlüsse würde er immer noch hinkriegen. Im Training hat er sich die Bälle in den Strafraum schlagen lassen und sie reingeschädelt, aber richtig. Welche Wucht er dahinter bringt, das ist echt krass. Selbst mit 67 köpft Horst Hrubesch besser als ich. Von sechs Kopfbällen gehen bei ihm fünf rein - und einer ganz knapp am Tor vorbei."
Vielleicht tut die Nähe zu seinem früheren Trainer und heutigen Nachwuchsdirektor des HSV, Horst Hrubesch, Davie Selke aktuell einfach nur gut. Den Fans des ehemaligen Bundesliga-Dinos wird aber sowieso egal sein, wieso Selke momentan quasi eine eingebaute Torgarantie hat. Wenn am Ende der Saison nach sieben langen Jahren in der zweiten Liga endlich der Aufstieg steht, wird man den neuen Superstürmer feiern. Und ganz sicher wird Horst Hrubesch dann mitjubeln - im festen Gewissen, dass er es ohnehin schon immer gewusst hat: Der Selke "wird seinen Weg machen"!