Das spanische Juwel, das mit elf Jahren schon erwachsen werden musste

Ein Abend in Zürich, der mehr war als Public Viewing: Der FC Wiedikon, augenzwinkernd als »FC Wie?« auf dem Oberarm der Veranstalterin verewigt, lud zum gemeinsamen Fußballschauen – und wurde überrannt. Statt der erwarteten 50 kamen 500 Fans, die Einnahmen flossen direkt in die Frauenabteilung des Klubs, in die Talentförderung.

Ein kleiner Beitrag, damit es bald noch mehr gibt wie sie: Sydney Schertenleib, 18, die sich in die Startelf der Schweizer Nationalauswahl gespielt hat.

Vor den Viertelfinals richten wir den Blick auf die nächste Generation – Spielerinnen, die nicht nur ihre Teams, sondern auch das Publikum begeistern und die Zukunft des Fußballs prägen wollen.

Der Stern der Gastgeberinnen

Im vergangenen Sommer wechselte Schertenleib zum FC Barcelona, um in der zweiten Auswahl zu reifen und hin und wieder mit den Superstars des ersten Teams zu trainieren.

Der FC Barcelona hatte einen langfristigen Plan mit der jungen Schweizerin. Doch Schertenleib hatte es eilig. Sie überzeugte so sehr, dass sie sich schon bald an der Seite der Topspielerinnen um Alexia Putellas auflief. Sie feierte in der Champions League ihr Debüt, erzielte ein Tor gegen den VfL Wolfsburg, ihre EM-Teilnahme war dann fast schon selbstverständlich.

Bei Schertenleibs Aktionen wird schnell deutlich, dass sie technisch alles mitbringt, um eine Topspielerin zu werden. Trotzdem war die Schweizer Trainerin Pia Sundhage zunächst vorsichtig und brachte Schertenleib im Auftaktduell nur von der Bank. Eine ihrer ersten Aktionen bei der EM war dann ein überragender Steckpass durch die Gasse. Das war der Beweis, dass die Offensivspielerin in die Startelf gehört.

Den Namen Schertenleib sollte man sich merken – aber wahrscheinlich eher für die Zeit nach der EM. Im Viertelfinale spielen die Gastgeberinnen gegen die Europameisterinnen aus Spanien und Schertenleib trifft auf viele ihrer Teamkolleginnen aus Barcelona.

Für Schertenleib wird es sich womöglich noch einmal so anfühlen wie zu Beginn ihrer Zeit bei Barça, als sie Teil einer B-Auswahl war und manchmal im Training gegen die A-Mannschaft spielte. Es dürfte jedenfalls ein Klassenunterschied werden. Aber das hat Schertenleib auch damals in Barcelona nicht aufgehalten.

Die Frühreife

Ein Grund für die wahrscheinlich klaren Verhältnisse beim Viertelfinale der Schweiz gegen Spanien ist Vicky López. Sie ist eine Spielerin der Superlative: Mit 15 Jahren und zehn Tagen feierte sie ihren ersten Profieinsatz und ist damit die jüngste Spielerin, die je in der spanischen Liga eingesetzt wurde. Bei dieser EM wurde die inzwischen 18-Jährige zudem die jüngste Torschützin der EM-Geschichte. Sollte sie den FC Barcelona einmal verlassen, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass für sie die bisher höchste Ablöse im Fußball der Frauen zu zahlen wäre.

Die offensive Mittelfeldspielerin gilt als eines der größten Talente. Sie ist technisch perfekt ausgebildet, verbindet Kreativität mit beeindruckendem Selbstvertrauen und ist die spanische Antwort im Fußball der Frauen auf Lamine Yamal. Beide wurden bei Barça ausgebildet und sollen eng befreundet sein.

Die frühe Reife der 18-Jährigen ist auch auf einen Schicksalsschlag zurückzuführen: Bereits im Alter von elf Jahren, als es mit dem Fußball ernster wurde, verlor sie ihre Mutter wegen einer Krankheit. »Es ist schade, dass sie nicht bei jedem Spiel auf der Tribüne dabei sein und mir zuschauen kann«, sagte sie einmal: »Aber ich weiß, dass sie von oben über uns alle wacht. Sie leitet mich an, meine Träume zu verwirklichen.«

Bereits beim ersten Spiel der Spanierinnen bei der EM dürfte sich ein Traum für sie erfüllt haben. López lief von Beginn auf, auch, weil eine andere Spielerin im Kader noch nicht wieder vollständig genesen war. Sie ersetzte eine gewisse Aitana Bonmatí, die aktuelle Weltfußballerin. Man merkte keinen Unterschied: Spanien gewann 5:0.

Weniger ist mehr

Die zentrale Mittelfeldspielerin wollte unbedingt Profifußballerin werden. So sehr, dass sie als Jugendliche vor und nach der Schule sowie am späten Abend nach dem Essen trainierte.

Man könnte sie als Trainingsweltmeisterin bezeichnen, aber manchmal ist viel trotzdem wenig. Schon bald traten bei Gaupset Überbelastungsverletzungen auf. 2023 fiel sie fast ein halbes Jahr mit immer neuen Problemen aus.

Vielleicht passt der aktuelle EM-Rhythmus deswegen perfekt zu ihr. Im ersten Spiel saß sie auf der Bank, dann spielte sie eine Hälfte und im dritten Spiel durfte sie über 90 Minuten spielen. Insgesamt kam sie somit auf 135 Minuten, in denen ihr zwei Treffer und zwei Torvorlagen gelangen. Norwegens souveräner Durchmarsch ins Viertelfinale ist auch ihr zu verdanken.

Die Frage ist bloß, wie viele Minuten Gaupset diesmal spielen darf? Bleibt es bei der bisherigen Logik, dass sie mit jeder Partie mehr werden, kann die nächste Runde gegen Italien nur in die Verlängerung gehen – ideal also, um endgültig zur Heldin zu werden.

Wendie, wer?

Sie ist 1,87 Meter groß, unheimlich kopfballstark, eine Waffe in der Defensive und bei Standards auch im Angriff.

Gemeint ist Wendie Renard. Sie war über Jahre hinweg im wahrsten Sinne eine feste Größe in der französischen Auswahl. Trotz der einzigartigen Innenverteidigerin konnte die Mannschaft jedoch keinen großen Titel gewinnen.

Vor der EM entschied Nationaltrainer Laurent Bonadei, dass man nicht immer wieder dasselbe probieren könne, und verzichtete auf die 34 Jahre alte Renard. Eine ihrer Erbinnen ist nun Alica Sombath: 21 Jahre jung, 22 Zentimeter kleiner, viel weniger auffällig und in Lyon keine klare Stammspielerin, da Renard dort meist noch aufläuft.

In Frankreich ist man sich dennoch sicher, dass die Tochter thailändischer Eltern eine große Zukunft haben wird. Die Frage ist, ob es bei dieser EM bereits so weit ist. Ihre ersten Eindrücke waren stark, Frankreich ist aus der schwierigen Gruppe mit England und Niederlande mit neun Punkten hervorgegangen.

Jetzt wartet die DFB-Auswahl, die nach der 1:4-Niederlage gegen Schweden zwar eher als Außenseiter ins Spiel geht, aber den Französinnen auch wehtun kann.

Zum Beispiel mit Lea Schüller, deren große Stärke das Kopfballspiel ist. Gegen Renard hätte sie damit allerdings wohl trotzdem keine Chance gehabt. Vielleicht wird man Renard also noch einmal vermissen, oder Sombath spielt sich endgültig ins Rampenlicht.

Die Schnelle

Die deutsche Topsprinterin Gina Lückenkemper kann Geschwindigkeiten von bis zu 38 Kilometern pro Stunde erreichen. Smilla Holmberg ist zwar nicht ganz so schnell – bei einer Leistungsmessung kam sie auf 32 Kilometer pro Stunde –, aber das war schnell genug, um die deutsche Außenverteidigerin Sarai Linder im letzten Gruppenspiel völlig zu überrennen.

Kurz darauf wurde Holmberg auch noch von Linder angeschossen und erzielte dadurch ein Tor. »Smilla, Smilla, Smilla«, hallte es vom schwedischen Fanblock rüber auf das Spielfeld. Dort standen auch ihre Eltern.

Die 18-Jährige hatte vor der EM nur ein einziges Länderspiel absolviert, nun könnte sie sich dauerhaft einen Platz in der schwedischen Auswahl gesichert haben. Nebenbei feierte sie bei der EM auch noch den erfolgreichen Abschluss ihres Abiturs. Nach der Endrunde dürften sich womöglich internationale Topklubs nach dem schwedischen Juwel erkundigen, bislang spielt sie in Schweden.

Die Engländerinnen, die Europameisterinnen, werden es den Schwedinnen vermutlich nicht ganz so einfach machen wie zuletzt die Deutschen. Vielleicht werden Holmbergs Offensivausflüge weniger.

Aber gespielt wird, wie schon gegen die DFB-Auswahl, im Letzigrund in Zürich, einem Stadion mit großer Laufbahn und Heimat von Leichtathletik-Meetings. Ein idealer Ort also für eine schnelle Spielerin. Ein perfekter Ort für Holmberg.

Sydney Joy Schertenleib (Mitte), 18, Schweiz (FC Barcelona)

Foto: Philipp Kresnik / SheKicks / SPP / Sports Press Photo / IMAGO

Vicky López (links), 18, Spanien (FC Barcelona)

Foto: UEFA Women's Euro; group B; matchday 3 / ANP / IMAGO

Signe Gaupset, 20, Norwegen (Brann)

Foto: Ludvig Thunman / Bildbyran / IMAGO

Alice Sombath (rechts), 21, Frankreich (Olympique Lyon)

Foto: Ryan Browne / Shutterstock / IMAGO

Smilla Holmberg (links), 18, Schweden (Hammarby IF)

Foto: Marc Schueler / Schüler / IMAGO

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