Weltfußballerin, Ikone, Frauenrechtlerin – und nun zu schlecht für die Startelf?

Es gibt Fußballerinnen, die selten einfach nur ihren Sport ausüben können, gerade bei großen Turnieren wie der Europameisterschaft.

Ada Hegerberg gehört zu diesen Spielerinnen. Die Norwegerin ist ein Star. Wenn sie in die Öffentlichkeit tritt, muss sie sich auch zur Entwicklung des Fußballs, zur Gleichberechtigung und zum Kampf für Frauenrechte äußern.

Das kann strapaziös sein.

Vor dem Start der EM wurde Hegerberg von der Schweizer Zeitung »Blick« zu ihrer Doppelrolle befragt .

»Wenn du mittendrin bist, willst du Erfolg haben«, antwortete die 30 Jahre alte Stürmerin. »Dann musst du vom Sport besessen sein, damit du den Unterschied ausmachen kannst.«

Dann folgte das »Aber«: »Als professionelle Fußballerin kämpfst du natürlich trotzdem immer um mehr als nur um den Sieg auf dem Fußballfeld«.

Und an anderer Stelle sagt Hegerberg: »Manchmal ist es ermüdend, weil du dich doch einfach auf deinen Job auf dem Feld konzentrieren möchtest«.

Experte Torp: »Ada muss geopfert werden«

Hegerberg antwortet professionell, die Themen sind ihr wichtig. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, dass sie gerade jetzt, wo die norwegische Auswahl nach Jahren des Misserfolgs den Anschluss an die europäische Spitze wiederherstellen kann, lieber über sportliche Themen sprechen möchte.

Vor dem Viertelfinale gegen Italien am Abend (21 Uhr, TV: ZDF) steht Hegerberg nun aber selbst massiv in der Kritik – wegen ihrer bisherigen Leistungen.

Die Spielerin von OL Lyonnes hatte beim 2:1-Sieg gegen die Schweiz einen Treffer erzielt und einen Elfmeter verschossen; gegen Finnland (2:1) wurde sie kurz vor Schluss ausgewechselt und im dritten Gruppenspiel gegen Island geschont.

Norwegen zeigte beim 4:3-Erfolg allerdings die mit Abstand beste Turnierleistung. Deshalb fordern namhafte Expertinnen und Experten in Skandinavien, Hegerberg gegen Italien erneut auf die Bank zu setzen.

»Gemma«, schrieb etwa Ex-Fußballer Carl-Erik Torp beim Rundfunksender NRK an die Nationaltrainerin Grainger gewandt, »du hast nur eine Wahl: Ada muss geopfert werden«.

Frida Olsson vom schwedischen »Expressen« nannte Hegerberg »eine Belastung« für das Team.

Und der ehemalige Gladbacher Erik Thorstvedt sagte in der norwegischen Tageszeitung »Dagbladet«: »Ada ist Kapitänin, aber das ist egal. Du musst mit dem besten Team antreten. Sie kann auch die Kapitänin dieses Teams sein, wenn sie nicht auf dem Feld ist«.

2018 gewinnt Hegerberg den Ballon d'Or

Es ist nicht ungewöhnlich, dass verdiente Spielerinnen nach schwächeren Leistungen infrage gestellt werden. Im Fußball soll das Leistungsprinzip gelten. Und doch kann dieses Prinzip nicht immer eingehalten werden. Erst recht bei Profis wie Hegerberg.

In 93 Länderspielen hat sie 50 Tore erzielt. Mit 66 Treffern ist sie Rekordtorschützin der Champions League, die sie mit Lyon sechsmal gewonnen hat. 2018 gewann sie als erste Spielerin den Ballon d’Or und wurde somit zur Weltfußballerin.

In ihrer Dankesrede ermutigte sie Mädchen mit dem Schlusssatz »Glaubt an euch!«, ihre Ziele zu verfolgen. Sie setzt sich vehement für Gleichberechtigung ein und trat im Kampf um Lohngleichheit zwischenzeitlich aus der Nationalelf zurück. 2023 war sie Teil einer Kampagne von Amnesty International, die sich bei der Fifa für eine Entschädigung der Familien der verstorbenen WM-Arbeiter in Katar einsetzte. Hegerberg ist eine Ikone des Fußballs.

Andererseits passen Anspruch und Wirklichkeit bei Hegerberg schon länger nicht mehr so gut zusammen. Seit ihrer schweren Knieverletzung im Jahr 2020, die sie insgesamt 21 Monate zum Zuschauen zwang, hat sie an Wucht und Torgefahr verloren.

In Lyon erzielte Hegerberg in den vergangenen vier Saisons in 82 Spielen starke 50 Tore, allerdings häufig gegen kleinere Vereine. Für Norwegen hatte sie vor dem Tor gegen die Schweiz acht Monate nicht getroffen.

Signe Gaupset drängt in die Startelf

Die Kritik in der Heimat geht allerdings über das bloße Zählen von Toren hinaus.

Hegerberg nimmt zu wenig am Kombinationsspiel in der Offensive teil. Ihr Anlaufverhalten im Pressing ist nicht mehr gut genug für modernen Fußball. Die Gegenspielerinnen haben sich gut auf ihr auf Abschlüsse ausgelegtes Spiel eingestellt. So lauten die Vorwürfe der Experten wie Torp.

Vor allem aber hat Nationaltrainerin Grainger zwei Profis im Kader, die nach dem Sieg gegen Island in die Startelf drängen.

Jungstar Signe Gaupset, 20, war an allen Toren gegen die Isländerinnen beteiligt. In norwegischen Medien kursiert derzeit ein Foto , wie die zehnjährige Gaupset neben ihrem Idol Hegerberg in die Kamera lächelt. Gaupset spielt allerdings eher hinter der Spitze und könnte somit gemeinsam mit Hegerberg auflaufen.

Elisabeth Terland von Manchester United ist als Stoßstürmerin eine direkte Konkurrentin, die von ihrer Dynamik und Laufstärke lebt, dafür vor dem Tor noch nicht die nötige Ruhe ausstrahlt.

Grainger stützt Hegerberg. »Sie gibt alles für diese Mannschaft. Ich bin sehr zufrieden mit ihr«, sagte sie und würdigte ihre »unschätzbaren« Qualitäten als Anführerin.

Hegerberg scheint sich über die Debatte fast zu freuen. »Ich nehme das locker«, sagte sie, »ein bisschen Wirbel ist in Ordnung.«

Vielleicht geht es diesmal doch nur um den Sieg auf dem Fußballfeld.

Hegerberg küsst vor ihrem verschossenen Elfmeter gegen die Schweiz den Ball

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Stürmerin Hegerberg: Vor der EM acht Monate kein Tor für Norwegen

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Ada Hegerberg im Spiel gegen die Schweiz

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Markus Ulmer / Ulmer / Teamfoto / IMAGO

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