Die Mutter aller Unentschieden

Kein Finale dahoam: Der FC Bayern München in der Champions League und gegnerische Eckbälle, das ist historisch keine Liebesgeschichte. Manchmal gar eine Tragödie: Das Endspiel von 1999 gegen Manchester United gilt an der Säbener Straße bis heute als »Mutter aller Niederlagen«, zwei Eckstöße in der Nachspielzeit kosteten den Titel.

Nun war die Fallhöhe an diesem verregneten Mittwochabend in Mailand eine andere, beim FC Internazionale ging es »nur« um den Halbfinaleinzug. Und doch endete das Gastspiel mit dem Exodus der Münchner, Lautaro Martínez (58. Minute) und Ex-Bayer Benjamin Pavard (61.) trafen für Inter, jeweils nach einem Eckball. Sie egalisierten die Treffer der Bayern-Engländer Harry Kane (52.) und Eric Dier (76.). Das viel beschworene »Finale dahoam« am 31. Mai ist damit in diesem Jahr schlicht ein Finale ohne deutsche Beteiligung, dem FCB bleibt nur noch der Titelkampf in der Bundesliga.

Das Ergebnis: 2:2 (0:0) gingen die Münchner aus dem Abnutzungskampf im San Siro hervor. Es war das Aus, denn in München hatten die Bayern 1:2 verloren. Inter fordert im Halbfinale nun Dortmund-Bezwinger FC Barcelona heraus. Hier geht es zum Spielbericht.

Ein letztes Müllern: Vincent Kompany vertraute derselben Elf, die sich am Wochenende beim 2:2 gegen den BVB noch schwergetan hatte. Das bedeutete auch: Startelf für Thomas Müller, Torschütze im Hinspiel, Kult- und neuerdings Reizfigur, bekam die Klubikone doch keinen Vertrag für die kommende Saison angeboten. Seine Klasse ließ der 35-Jährige früh aufblitzen, er stibitzte Bälle, setzte Michael Olise für die erste Münchner Torgelegenheit sehenswert in Szene (11.), hatte auch selbst immer wieder Chancen (36., 56., 90.+5). Die Abschlüsse, ob mit den Füßen oder per Kopf, wirkten dann allerdings doch oft kraftlos und unkoordiniert. Die Zeit des Thomas Müller war eine schöne, aber sie ist wohl vorbei – zumindest in der Königsklasse. Ihm selbst ging das wenig nahe: »So emotional fühl ich's gerade gar nicht«, sagte Müller, der nach dem Spiel mit Sprechchören gefeiert wurde. »Ich freue mich, dass ich so viel Spaß hatte hier, und dass andere wegen mir Spaß hatten.«

Harry Kane und andere Unwetter: Ansonsten entfaltete sich auf dem Platz ein Duell, das wie vor einer Woche auf Augenhöhe ablief. Dabei hatten beide Teams denselben zusätzlichen Gegenspieler: Der böige Wind in Mailand machte Flanken und Verlagerungen mitunter unberechenbar und störte den Spielfluss. Gut, dass Harry Kane sowieso immer im Sturm spielt: Bayerns Top-Torschütze kam im Strafraum an den Ball, die Szene sah eigentlich zu statisch aus, um gefährlich zu sein. Schlitzohr Kane aber wartete, bis Federico Dimarco einen Ausfallschritt machte und er durch die Beine des Italieners hinweg ins lange Eck schießen konnte (52.). Für wenige Momente war das Duell über Hin- und Rückspiel hinweg ausgeglichen.

Die heimliche Ikone: Wenig später halfen dann alle Münchner Reklamierarme nichts: Ein Eckball fiel Inter-Star Martínez aufs Knie, dann schaltete der Argentinier schneller als Joshua Kimmich und drosch den Ball an Jonas Urbig vorbei ins Netz (58.). Kein Handspiel, keine VAR-Intervention, einfach großer Stürmerinstink des Mannes, der schon im Hinspiel das erste Tor der Nerazzuri geschossen hatte. Zwischen den spanischen Granden, dem Koloss Premier League und der deutschen Brille lässt sich leicht der Blick dafür verlieren, was für ein Ausnahmespieler »El Toro« eigentlich ist: Kapitän des italienischen Meisters, Stammspieler bei Weltmeister Argentinien, acht Champions-League-Tore in einer Mannschaft, deren Kernkompetenz die Defensive ist. Als Martínez vor der Kurve jubelte, prangte auf dem nächsten Banner sein Konterfei.

Dier Straits: Die Bayern, defensiv weiter ohne die Langzeitverletzten Manuel Neuer, Dayot Upamecano und Alphonso Davies, waren nun angeknockt. Mit einer spektakulären Grätsche entschärfte Dier noch Matteo Darmians Großchance aufs 2:1 (60.) – nur, damit Pavard die fällige Ecke ins Netz köpfen durfte (61.). Lange schienen sich die Bayern vom Doppelschlag nur schwer zu erholen, ehe Dier nach einer Ecke plötzlich vorne auftauchte und aus spitzem Winkel per Kopfball-Bogenlampe traf (76.). Eine Viertelstunde durften die Bayern nun noch alles nach vorne werfen, Jonas Urbig ging bei Standards mit in den Strafraum, Josip Stanišić schubste in der Eile einen Balljungen vom Hocker. Es half alles nichts.

Quo vadis, Bundesliga? Für die Bayern geht es damit ernüchtert zurück in den Liga-Alltag. »Jetzt kommt in zwei Tagen Heidenheim. Ist zwar jetzt ein harter Break, aber es ist so«, bilanzierte Müller. Unter den besten vier Klubs der Königsklasse stehen Vertreter aus England, Spanien, Italien und Frankreich, aber kein deutsches Team. In einer von Verletzungen durchzogenen Debütsaison wird man das Trainer Kompany in München noch verzeihen. Zur Gewohnheit aber sollte es schon dem bayerischen Selbstverständnis zuliebe nicht werden.

Harry Kane ist die Konstante in der Bayern-Offensive

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Zaunkönig der Lombardei: Lautaro Martínez ist in Mailand heimlich, still und leise zum Weltklassestürmer gereift

Foto: Marco Bertorello / AFP

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