Die Risse in Selenskyjs Image werden bleiben

Nach heftiger Kritik will Präsident Selenskyj sein Gesetz zu den Anti-Korruptions-Behörden ändern. Am Donnerstag wird das Parlament in Kiew höchstwahrscheinlich für einen neuen Entwurf stimmen. Doch der politische Schaden bleibt - so wie weitere Probleme im Kampf gegen Korruption.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nicht dafür bekannt, gerne unter Druck zurückzurudern. Schon während seiner Zeit als Chef der Fernsehproduktionsfirma Kwartal 95 galt er als jemand, der seine Entscheidungen durchsetzt. Während seiner Präsidentschaft hat er zwar mehrmals auf gesellschaftlichen Protest reagiert und ließ manche Beschlüsse revidieren. Nur in wenigen Fällen handelte es sich dabei jedoch um seine eigenen Initiativen.

Mit dem vergangene Woche im Eiltempo beschlossenen Gesetz, das die Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsorgane einschränkte, ist dies anders. Der Gegenwind war besonders heftig: Das Gesetz war der Anlass für die ersten bedeutenden Proteste in der Ukraine seit Beginn des russischen Überfalls.

Dieses Gesetz, das am 22. Juli quasi über Nacht komplett umgeschrieben, in zwei Lesungen im Parlament angenommen und gleich am Abend vom Präsidenten unterschrieben wurde, stellte die bis dahin größtenteils unabhängigen Strukturen des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption (SAP) unter Kontrolle des Generalstaatsanwalts, der wiederum direkt von Selenskyj bestimmt wird. Dies wurde unter anderem mit dem angeblichen russischen Einfluss auf NABU begründet, was kaum überzeugend belegt wurde. Ab Donnerstag soll die Novelle Geschichte sein. Denn morgen soll das ukrainische Parlament über einen neuen Gesetzentwurf Selenskyjs abstimmen, der die meisten Normen des ursprünglichen Gesetzes rückgängig macht - und mit dem Antikorruptionsorgane sowie Experten weitestgehend zufrieden sind.

Sollte es tatsächlich so kommen, wovon auszugehen ist, darf die Ukraine nach eineinhalb turbulenten politischen Wochen endlich aufatmen. Zum einen, weil die noch andauernden Demonstrationen dann wohl enden werden. Die Proteste waren zwar nicht sonderlich groß: Am 23. Juli, dem bisher größten Demonstrationstag, sind insgesamt nicht viel mehr als 10.000 Menschen in den ukrainischen Städten auf die Straße gegangen. An den Protesten nahm jedoch vor allem der politisch aktive Teil der ukrainischen Bevölkerung teil – und jegliche innere Spannungen spielen Präsident Wladimir Putin und Russland in die Hände. Es gibt aber einen anderen, wohl noch wichtigeren Grund für Selenskyjs Kehrwende.

EU-Vertreter kürzt Gelder wegen mangelnder Reformen

Zwar war nicht zu erwarten, dass die EU und ihre Mitglieder die Militärhilfen für die Ukraine einstellen - oder andere wichtige Förderungen, die etwa für die Auszahlung der Renten notwendig sind. Das wäre ein zu großes Sicherheitsrisiko für die EU, die Kiew im Kampf gegen den russischen Aggressor unterstützt. Quellen des ukrainischen Portals Ukrajinska Prawda zufolge haben EU-Vertreter allerdings offen mit den Kürzungen einiger Finanzierungsprogramme gedroht. Im Rahmen des Programms Ukraine Fazilität wird das Land ohnehin im August vorerst 3,05 statt 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt bekommen. Durch die Ukraine Fazilität erhält die Ukraine markofinanzielle Hilfen, deren Höhe jedoch von durchgeführten Reformen abhängt.

Für Kiew löst die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zu den Antikorruptionsbehörden nicht gleich alle Probleme. Im Hintergrund blockiert die Regierung etwa weiterhin die Ernennung eines neuen Chefs des Büros für wirtschaftliche Sicherheit (BEB), einer Art Ermittlungsbehörde für wirtschaftliche Straftaten. Hier pochen die EU, aber auch der Internationale Währungsfonds (IWF) darauf, dass das Kabinett in Kiew eine Entscheidung entsprechend dem Beschluss der Ausschreibungskommission trifft. Ein Beispiel dafür, wie mühsam und kompliziert der Kampf gegen Korruption in der Ukraine ist. Selbst in der Ukraine ist BEB jedoch weniger bekannt als NABU und SAP. Mit dem neuen Gesetzesvorschlag bekämpft Selenskyj also nur das öffentlichkeitswirksamste Problem.

Auch das Gesetz, das er wieder zurücknehmen will, wird als eine schmerzhafte innenpolitische Niederlage für Selenskyj in Erinnerung bleiben - zumal bislang unklar ist, was genau ihn letzte Woche zu diesem radikalen Schritt bewegte. Der allgemeine Rückhalt in der ukrainischen Gesellschaft für ihn wird voraussichtlich nur ein wenig erodieren. Es wird erwartet, dass sein Vertrauenswert von 65 Prozent, ermittelt vom Internationalen Soziologie-Institut in Kiew im Mai und Juni dieses Jahres, bei der nächsten Umfrage leicht sinken wird. Die Antikorruptionsbehörden sind wichtig, aber kein Thema, das für die Masse der Ukrainer oberste Priorität hat.

Mehrheitsfindung in der Rada könnte schwieriger werden

Dennoch dürften einige unter den Anhängern Selenskyjs mit seiner Kehrtwende unzufrieden sein. Denn sein Image im Ausland hat dadurch Risse bekommen. Zudem ist Korruption in der Ukraine objektiv gesehen weiterhin ein Thema - die russische Propaganda stellt es verzerrt dar und schlachtet es aus.

Selenskyj hat aber noch ein anderes Problem. Seine Partei Diener des Volkes hat nur auf dem Papier eine absolute Mehrheit in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament – und Selenskyj ist längst auf die Stimmen anderer Parteien angewiesen, was bis zuletzt kein bedeutendes Problem war. Nun dürfte aber sogar die Fraktion von Selnskyjs Partei nicht begeistert davon sein, über ein neues Gesetz abzustimmen.

Es gibt Abgeordnete, die am 22. Juli nach Absprache mit dem Präsidenten für das Gesetz gestimmt haben, obwohl sie Bedenken gehabt haben sollen. Sie könnten sich düpiert vorkommen. Und auch Parlamentarier, die aus Überzeugung für das ursprüngliche Gesetz stimmten, könnten sich nun, angesichts der Änderungen, vor den Kopf gestoßen fühlen. Es könnte für Selenskyj nach dieser Schlappe also schwieriger werden, künftig Mehrheiten im Parlament zu finden - der innenpolitische Schaden könnte also größer sein als bislang angenommen.

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