Wadephul fordert von Israel Absage an »Politik der Vertreibung und Annexion«
Mit ungewöhnlich deutlichen Worten hat Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) bei seinem Besuch in Israel das Land für sein Vorgehen im Gazastreifen kritisiert. »Wir brauchen Klarheit auch von Israel, dass keine Politik der Vertreibung und keine Politik der aktiven Annexion betrieben wird«, sagte Wadephul in Jerusalem. »Die humanitäre Katastrophe in Gaza übersteigt jede Vorstellung«, beschrieb er die Lage in dem Palästinensergebiet.
Israel laufe aufgrund seines Verhaltens Gefahr, »international immer weiter isoliert zu werden«, warnte Wadephul. Deutschland versuche, dies zu verhindern: »Israel muss in der internationalen Gemeinschaft immer Freunde, Partner und Unterstützer finden. Und das ist in dieser Situation derzeit gefährdet. Und wenn es ein Land gibt, das die Verantwortung hat, dies zu verhindern, dann ist es meiner Ansicht nach Deutschland«, sagte Wadephul.
Er bestätigte gleichzeitig, dass Deutschland in der Frage der Anerkennung eines eigenen Palästinenserstaates »eine andere Position« als andere Länder habe. Ein solcher Schritt stünde »eher am Ende eines Verhandlungsprozesses«, führte Wadephul aus. Dieser Verhandlungsprozess müsse allerdings »bald beginnen«, betonte er.
Wadephul ruft Israel zum Abwenden von Massensterben im Gazastreifen auf
Die furchtbare Lage im Gazastreifen hatte zuletzt internationale Kritik an Israels Regierung wachsen lassen; Hilfslieferungen in das Gebiet waren weitgehend unmöglich. Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser leiden Hunger; viele Menschen, darunter vor allem Babys und Kinder, sind an Mangel- oder Unterernährung bereits gestorben.
Wadephul war vor seinem Statement mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, Staatspräsident Isaac Herzog und Außenminister Gideon Sa’ar zusammengetroffen. Die israelische Regierung sei in der Pflicht, »schnell, sicher und ausreichend humanitäre und medizinische Hilfe zuzulassen, damit ein Massensterben im Rahmen einer Hungersnot abgewendet werden kann«, sagte Wadephul nach diesen Treffen. Dafür sei die Lieferung von Hilfsgütern auf dem Landweg entscheidend. Die gemeinsame Luftbrücke mit Jordanien habe die Bundesregierung »zur Linderung der größten Not« beschlossen.
Hinsichtlich der Kampfhandlungen im Gazastreifen sagte Wadephul: »Kampfpausen reichen nicht mehr aus, es sei an der Zeit, den Krieg zu beenden«. Sein Auftrag sei, der israelischen Regierung zu sagen, dass sie jetzt handeln müsse, und »nicht erst irgendwann«, so der deutsche Außenminister.
Wadephul warnte bereits vor Abreise vor israelischer Annexion
Vor seiner Abreise nach Israel hatte Wadephul bereits vor einer möglichen Annexion palästinensischer Gebiete gewarnt. »Es gibt immer wieder Politiker in Israel, die sagen, wir annektieren das. Die Knesset hat es gerade beschlossen. Das geht natürlich nicht. Das ist auch nicht durch das internationale Recht gerechtfertigt«, sagte er zum Magazin »Politico«. Deutschland habe dazu »eine klare Meinung«, die er in Jerusalem deutlich machen werde. »Wir stehen zur Zwei-Staaten-Lösung, sind an das internationale Recht gebunden und billigen illegale Siedlungen im Westjordanland nicht. Das haben wir immer gesagt.«
Die Zahl der Opfer im Gazastreifen sei »zu groß«, führte Wadephul weiter aus. »Wir brauchen dort eine Erleichterung für die Menschen.« Wichtig sei auch die Freilassung der noch immer vermissten israelischen Geiseln: »Es gibt immer noch 50 Menschen, die fehlen. Etwa 20 davon leben vermutlich noch. Die wollen wir frei bekommen – das steht an erster Stelle.«
US-Sondergesandter Witkoff will Gazastreifen besuchen
Neben Wadephul ist auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff derzeit in der Region unterwegs. Gemeinsam mit dem US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee, will er sich am Freitag im Gazastreifen ein Bild von der Lage vor Ort machen. Das erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt , in Washington.
Witkoff und Huckabee wollen demnach Verteilungsstellen für Hilfslieferungen inspizieren und einen Plan für weitere Hilfslieferungen ausarbeiten. Zudem gehe es darum, von den Menschen dort »aus erster Hand mehr über die dramatische Lage vor Ort zu erfahren«.
43 Paletten abgeworfen
Derweil sind nach israelischen Angaben erneut Hilfsgüter aus der Luft über dem abgeriegelten Gazastreifen abgeworfen worden. Die Lieferungen umfassten demnach 43 Paletten mit Lebensmitteln, die in den vergangenen Stunden an Fallschirmen von jordanischen, emiratischen sowie ägyptischen Flugzeugen abgeworfen wurden, wie das Militär mitteilte. Die drei Länder koordinieren ihre Abwürfe mit Israels Behörden.
Israel hatte am Sonntag erstmals seit Monaten die Einfuhr von Hilfslieferungen zugelassen. Experten befürworten die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen in größerem Stil für die Not leidende palästinensische Zivilbevölkerung, sie halten den Abwurf aus der Luft aber wegen der relativ geringen Mengen für ineffektiv und zu teuer. Im Vergleich zu Lastwagen können damit nur sehr wenige Lebensmittel transportiert werden. Zudem seien abgeworfene Paletten ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung.
Steve Witkoff
Foto: Alex Brandon / AP / dpa