Spaß befreit
1. Lachen Sie jetzt nicht
Kein Witz, ein Gericht hat den Satiriker Sebastian Hotz, alias El Hotzo, 29, freigesprochen. Er hatte vor einem Jahr mehrere Posts über das Trump-Attentat veröffentlicht. Er verglich damals die Schüsse auf den Präsidentschaftskandidaten mit dem »letzten Bus«: »Leider knapp verpasst.« Er schrieb außerdem: »Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.« Der Vorwurf lautete, er habe damit den Mordversuch gebilligt und so den öffentlichen Frieden gestört. (Hier mehr dazu.)
„Es ist ein merkwürdiger Prozesstermin, der selbst schon parodistische Züge trägt“, berichtet mein Kollege Alexander Kühn aus dem Gerichtssaal in Berlin-Tiergarten. „Das Gericht soll nicht entscheiden, was Satire darf. Sondern ob es sich bei dem Hotz-Post um Satire handelt.“ (Hier die ganze Geschichte .)
Als Berliner wird mir immer wieder unterstellt, ich würde lieber einen Freund verlieren, als eine Pointe wegzulassen. Deshalb halte ich mich mit jeder Bewertung zurück. Die Richterin scheint es ähnlich zu sehen, musste aber entscheiden. Bei den Posts von Hotz handele sich um »straflose Satire«, auch wenn die Äußerungen möglicherweise geschmacklos gewesen seien. »Man muss sich streiten können über gute und schlechte Meinungen.« Aus den Meldungen geht nicht hervor, ob das »möglicherweise« als Witz gemeint war.
Wie viel Satire darf, zeigt immer wieder auch das Magazin »Titanic«. Einige Beispiele hat mein Kollege Matern von Boeselager vor einiger Zeit zusammengetragen. Wissen Sie noch, zu welchem Politikerbild die Zeitschrift im Jahr 2006 textete: »Problembär außer Rand und Band: Knallt die Bestie ab!« Tipp: Es war nicht Trump, der war damals noch kein Politiker.
Die Antwort finden Sie hier: Acht Witze, für die die »Titanic« richtig Ärger bekommen hat
2. Teure Pflege
Vorsicht bei Superlativen, heißt eine Journalistenregel. Dasselbe gilt für Radikalrhetorik, also Wörter wie »Kostenexplosion« oder »Ausgabenlawine«. »Was aber in der Pflege seit Jahren passiert, ist wirklich dramatisch«, sagt mein Kollege Benjamin Bidder aus unserem Wirtschaftsressort. »Seit 2018 haben sich die Zuzahlungen für Heimplätze auf durchschnittlich 3108 Euro verdoppelt.«
Nicht in Sicht sei eine Kostenbremse oder, um im Bild zu bleiben, irgendetwas, was die Explosion eindämmt. »Betroffene müssen in sieben Jahren mit einer weiteren Verdoppelung rechnen«, sagt Benjamin. Jetzt drängt der Deutsche Pflegerat darauf, dass wenigstens geklärt wird, wie sich die Kosten verteilen lassen: Was zahlen Bund und Länder? Was übernehmen die Kassen? Und was können die Angehörigen schultern?
Benjamin hat mit dem Experten Stefan Sell über neue Ideen gesprochen. Der sagt: »Die Eigenanteile sind zu hoch. Die Leute können doch nicht dauerhaft 3000 oder 4000 Euro im Monat zuzahlen.« Er favorisiert eine Art Teilkaskoversicherung für die Pflege. »Die Eigenanteile würden begrenzt.« Allerdings ginge das »nur über höhere Beitragssätze oder zusätzliche Steuermittel«. Anders gesagt: Die Pflege braucht nicht weniger Geld, es soll nur woanders herkommen.
Lesen Sie hier das ganze Interview: Kostenschock in der Pflege
3. Außer Rand und Brand
Bei der Fußball-EM in der Schweiz treten am Abend die deutschen Spielerinnen gegen die Spanierinnen an (zu sehen ab 21 Uhr in der ARD , im Liveticker zu verfolgen bei uns auf SPIEGEL.de). Dass sie überhaupt so weit gekommen sind, hat viel mit Jule Brand zu tun, berichtet mein Kollege Jan Göbel aus unserem Sportressort: »Gegen Frankreich, in einem dramatischen Viertelfinale mit fast 120 Minuten in Unterzahl, gewann sie 18 von 34 Zweikämpfen – mehr als jede andere Spielerin auf dem Platz.«
Mit gerade einmal 22 Jahren hat Brand bereits 64 Länderspiele bestritten. »Lange galt sie als hoch veranlagt, aber unvollendet – eine, die glänzt, wenn es läuft, aber weitgehend unsichtbar bleibt, wenn das Spiel kippt«, berichtet Jan. In Interviews kokettiert sie gern mit ihrer »verpeilten« Art. »Das wirkt sympathisch, doch manchmal auch wie ein Erklärungsmuster für fehlende Klarheit und Fokus.« Bei dieser EM zeige sich jedoch eine neue Brand – sie wirke entschlossener. Sie selbst sagt: »Ich bin kein Küken mehr.« Sie wolle Verantwortung übernehmen, so Jan. »Und sie tut es.«
Lesen Sie hier mehr: Die erstaunliche Wandlung der Jule Brand
Was heute sonst noch wichtig ist
Abgeordnete stellen EU-Beitrittsprozess der Ukraine infrage: Die Regierung in der Ukraine hat die Unabhängigkeit eines Antikorruptionsbüros beschränkt. Aus dem EU-Parlament kommt nun scharfe Kritik. Ein Abgeordneter stellt sogar die finanzielle Unterstützung des Landes infrage.
Außenminister Wadephul verteidigt Enthaltung beim Gaza-Appell: Deutschland sei parteiisch, es stehe an der Seite Israels, sagt Außenminister Johann Wadephul. Die Kritik, dass Deutschland den Gaza-Appell von 28 anderen Staaten nicht unterstützt hat, weist er zurück.
WHO warnt vor möglicher Chikungunya-Epidemie: Milliarden Menschen sind laut der Weltgesundheitsorganisation durch das Chikungunya-Virus gefährdet. Wo es schon auftritt und wer sich impfen lassen sollte.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen: Funktioniert diese Koalition noch?
Vor der Sommerpause scheiterten Union und SPD an der Richterwahl, eine Lösung ist nicht in Sicht. Bei den Genossen kommen Zweifel auf, ob Friedrich Merz und Jens Spahn in schwierigen Situationen Disziplin herstellen können, berichten meine Kollegin Sophie Garbe und mein Kollege Paul-Anton Krüger.
Lesen Sie hier die Analyse: Wenn schon ein einfacher Prozess wie die Richterwahl für einen Eklat sorgt, wie soll es erst bei all den strittigen Projekten werden, die noch anstehen ?
Was heute weniger wichtig ist
Wirtschaftswonder: Stevie Wonder, 75, will noch nicht über den Ruhestand nachdenken, wie er in einem BBC-Podcast sagte. »Solange du atmest, solange dein Herz schlägt, gibt es für dich mehr zu tun.«
Mini-Hohl
Hier finden Sie den ganzen Hohl.
Cartoon des Tages
Und heute Abend?
Na klar, Fußball gucken (siehe oben).
Wenn Sie vorher noch etwas kochen wollen, empfehle ich die »fast schon italienische Ofentomate mit Mozzarella« (hier geht es zum Rezept ) und/oder Penne Salsiccia (hier das Rezept ).
Und wenn Sie so gar keine Lust auf Fußball haben, gucken Sie doch die neuen Folgen »Foundation« auf Apple TV+, da ist gerade die dritte Staffel der Science-Fiction-Serie angelaufen. Allerdings sind sie weitgehend unverständlich, wenn Sie nicht die ersten beiden Staffeln geschaut und/oder alle Asimov-Bücher dazu gelesen haben. Aber falls Sie sich so vorbereitet haben, ist es ein Genuss. (Hier mehr dazu.)
Ihnen einen entspannten Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion
Amtsgericht Tiergarten: Sebastian Hotz erscheint zum Strafprozess
Foto:Bernd von Jutrczenka / dpa
Altenzentrum in Frankfurt: Die Zuzahlungen steigen seit Jahren
Foto: Julia Steinbrecht / KNAJule Brand: »Wenn sie selbstbewusst auf dem Platz ist, dann ist sie unschlagbar«
Foto: Sebastian Widmann / UEFA / Getty ImagesVizekanzler Lars Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz: Die Debatte geht über Personalien hinaus
Foto:Michael Kappeler / dpa
Musiklegende Stevie Wonder
Foto: Jeremy Hogan / ZUMA Press Wire / IMAGOAngebot in einem Baumarkt in Leipzig
Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Klaus Stuttmann