Der AfD geht der Sprit aus
Entschuldigung, wer kennt sie nicht, die große weiße Frau, die im Freibadbecken den dunkelhäutigen Jungen mit Beinprothese unter Wasser betatscht? … dachten sich wohl die Freibadverantwortlichen der Gemeinde Büren in Ostwestfalen und bebilderten ihr Sommer-Benimm-Plakat wie beschrieben. Die Folge, man ahnt es: einige Aufregung, zu Recht, und jede Menge Ressentiment-Randale bei AfD und ihren Vorfeld-Portalen. Für die war es ein gefundenes Fressen.
Derartige Plakate für volkspädagogisch verdienstvoll zu halten, ist mit den Mitteln der Vernunft nicht nachvollziehbar, tut mir leid. »Das Projekt war gemeinsam mit Jugendvertretern, aber auch spezialisierten Beratungsstellen ins Leben gerufen worden«, stand bei SPIEGEL.de. Falls in Büren das Geld fürs Schwimmbad knapp wird: Ich wüsste jetzt, wo man sparen könnte.
Die gute Nachricht ist immerhin: Ansonsten läuft es mit den gefundenen Fressen nicht so gut für die AfD. Ihrem verlässlichsten Mobilisierungsmittel geht schnell, aber sicher die Puste aus: Die Zahl der neu Asylsuchenden schrumpft seit geraumer Zeit von Monat zu Monat stärker, sie hat sich im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreswert fast halbiert. Wenn es bis Jahresende so weitergeht, und wenig spricht dagegen, dann wird die Gesamtzahl 2025 in der Nähe derjenigen des Jahres 2020 liegen (122.000) – dem Coronajahr, als man auch als Flüchtling kaum durch Europa reisen konnte. Das ist spektakulär.
Der liberale Konservative sieht es mit Freude.
So werden die linken und grünen Traumtänzer widerlegt, die unverdrossen behaupten, dass man an den Fluchtbewegungen ohnehin nichts ändern kann, weil deren Auslöser jenseits der Reichweite unseres politischen Handelns liegen. Geografisch mag das zutreffen, trotzdem lässt sich national und europäisch an vielen Stellschrauben drehen, und, siehe da, das gewünschte Ergebnis tritt ein. Genau das widerlegt zugleich die Rechts-außen-Ressentiment-Reaktionäre, die unverdrossen behaupten, dass die »Altparteien« und die EU zu solch einer Kurskorrektur nicht imstande seien. Sind sie doch. Das der AfD verhasste »System« hat die Partei Lügen gestraft: Es hat geliefert.
Und nun?
Vermutlich gibt es verschiedene Motive und Anreize, AfD zu wählen oder sich in Umfragen zu ihr zu bekennen. Aber wer die Sache durch die Jahre seit 2015 verfolgt hat, der sieht einen roten Faden: Die schwankende Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen befeuert praktisch wie psychologisch die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf dem Großfeld Migration/Fremdheit/Heimat. Ist das Thema eine Zeit lang groß, gehen die Werte der AfD eher nach oben. Ist das Thema eine Zeit lang klein, gehen sie eher nach unten. Es ist eine halbwegs verlässliche Korrelation durch das ganze vergangene Parteijahrzehnt.
Früher als ich dachte, beginnt nun zweierlei: Zum einen der Test, ob dieser Zusammenhang weiterhin gilt, die AfD im Kern also immer noch ein One Trick Pony ist: eine Partei, deren Erfolg vor allem in Ausländerfeindlichkeit gründet. Oder ob sie inzwischen eine Stärke erlangt hat, die sie auch durch eine manifeste Entspannung der Migrationskrise tragen kann. Und es beginnt, zum anderen, die Suche der AfD nach einer strategischen Antwort auf die sinkenden Asylzahlen – auf den »System«-Erfolg, den eine große Mehrheit der Bürger ja als gute Nachricht empfinden wird. Letzteres ist besonders blöd für eine Partei, die weiß (und mitunter offen auch sagt), dass es ihr nur gut geht, wenn es Deutschland schlecht geht. »Deutschland in der Krise, Deutschland ist in der Krise.« (sic!) So atemlos beschwörend lautete am Wochenende der erste Satz auf der Website der AfD-Bundestagsfraktion zum neuen Sieben-Punkte-Positionspapier , dem Neues freilich fehlt.
Quo vadis, AfD? Die Versuche, sich bürgerlicher zu gerieren, sind bis dato eher unfreiwillig komisch als strategisch durchdacht. Die neuen »Benimmregeln« für die notorisch brüllenden Bundestagsabgeordneten lassen die Frage offen, was die AfD-Fraktion ohne dieses Gemeinschaftsgefühl der Rotte noch wäre? Daneben muss man einfach laut lachen, wenn eine Partei, die sich gesichert rechtsextremistisch gegen das Grundgesetz stellt, einen Rechtsextremen mit der Begründung rauswerfen will, dass er sich gegen das Grundgesetz stellt. Und wohin genau soll der (entgegengesetzte) propopulistische Weg führen, den AfD und Sahra Wagenknechts Bündnis gemeinsam gehen wollen? Beim ersten Gespräch von Björn Höcke mit ihr und Oskar Lafontaine wäre ich gern dabei. Die größten Kritiker der Elche sind selber welche.
Mein Tipp: Die meisten AfD-Verantwortlichen werden bei jedem Messerangriff oder jeder Freibadprügelei erst einmal weiter insgeheim hoffen, der Tatverdächtige möge ein eigentlich ausreisepflichtiger Syrer oder Afghane sein. Die Partei wird versuchen, damit jenes drastische Sinken der Asylzahlen vergessen zu machen, das sie jahrelang selbst gefordert hat – und dessen Ausbleiben sie allen Regierenden als das maximal antideutsche Vollversagen vorgeworfen hat.
Kurzum: Den Wegfall größerer Teile ihrer Geschäftsgrundlage wird die AfD nicht einfach hinnehmen, dafür ist sie zu groß und ihre Führung mit Diäten und Zulagen zu wohlhabend geworden. Doch die entscheidende Frage ist ohnehin die nach bestimmten Wählergruppen der AfD: Wenn eine anscheinend ungebremste Asylzuwanderung Grund für deren Protest war, legt sich dieser Protest dann eines Tages auch wieder – nämlich jetzt?