Krätze-Panik und Vanilleeis

Die Diagnose schockte uns: Verdacht auf Krätze! Oha. War das nicht diese fürchterliche Krankheit, die nur jene Armseligen befällt, die unter unmenschlichen Bedingungen hausen (müssen)? Vom Ekligkeitsgrad einzustufen kurz hinter der Beulenpest. Und das sollte unsere Tochter haben? Die Haut dieser porentief reinen Unschuld untertunnelt von winzigen Spinnentieren, die dort ihre juckende Brut einnisten?

Nun, wer nichts weiß, muss alles glauben. Deshalb war ich erleichtert, als ich beim Googeln lernte, dass mangelnde Hygiene und unsaubere Lebensumstände kaum eine Rolle spielen bei der Ansteckung. Die Krankheit kann jeden treffen, überträgt sich in der Regel über Hautkontakt und ist wieder auf dem Vormarsch , insbesondere, wo sich Menschen nahekommen wie eben in Kitas. Außerdem ist sie ungefährlich.

Die Kita musste den Verdacht trotzdem an das Gesundheitsamt melden. So verlangt es Paragraf 34 unseres Infektionsschutzgesetzes. Unter Punkt 19 werden die Krätzmilben dort als »Skabies« gelistet (von Sarcoptes scabiei var. hominis). Wie viel weniger Schrecken diese Viecher wohl verbreiten würden, wenn alle sie so nennen würden? Skabies klingt süß, nicht nach scheußlichen Ektoparasiten. Allerdings auch nur, bis sie bei dir einziehen wollen.

Nach dem Hinweis ans Amt folgte die Sammelmail der Kita an die Eltern. Darin die Aufforderung, alle Kleidungsstücke der Kinder einzusammeln und bei 60 Grad zu waschen oder für mehrere Stunden einzufrieren. Da kommt Freude auf. Wenig später erreichte mich die WhatsApp-Nachricht einer befreundeten Mutter: Habt ihr schon gelesen …?

Kurzes Nachdenken, wie reagieren? Sich gespielt aufregen oder riskieren, dass das Kind zur Aussätzigen wird und nie wieder auf einem Kita-Foto neben anderen Kindern stehen darf? »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«, mahnte schließlich schon Liedermacher Franz Josef Degenhardt.

Die Wahrheit verschweigen oder ehrlich sein, auch wenn das eigene Kind womöglich stigmatisiert wird – und die Lektion in Anstand nicht einmal mitbekommt? Meine Antwort auf dieses elterliche ethische Dilemma hätte Aristoteles erfreut. Laut dem genialen Griechen handeln tugendhafte Menschen moralisch, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, nicht, weil es erwartet wird.

Statt der befürchteten Funkstille gab es Mitleid und Glückwünsche. Mir blieb also nur ein wenig Scham für meine eigene Elternparanoia – und ein Berg Wäsche. Wir mussten nämlich deutlich mehr Stoff sterilisieren als die anderen Eltern: nicht nur die Kleidung des Kindes, auch die der Eltern, dazu noch Bettwäsche, Teppiche und Polster.

Welche große Arbeit winzige Lebewesen machen können, war mir zwar spätestens seit der Geburt unserer Tochter klar. Aber die Krätzmilben, von denen wir letztlich gar nicht sicher wussten, ob sie uns heimgesucht haben, hoben das Verhältnis von Arbeitsaufkommen zu Körpergröße auf ein ganz neues, für uns bis dato unvorstellbares Level.

Praktischerweise befindet sich in modernen Garderoben auch so gut wie kein Kleidungsstück mehr, das einen 60-Grad-Waschgang aushält. Also musste das Gefrierfach ausgeräumt und im Zwei-Stunden-Takt Wäsche schockgefrostet werden – natürlich alles wenige Tage vor einem geplanten Urlaub. Das Leben spannt die besten Spannungsbögen.

Zwischendurch einmal das Kind von Kopf bis Fuß geschrubbt und mit Anti-Milben-Salbe zugekleistert. Zum Schluss waren die Erzeuger an der Reihe. Völlig erschöpft standen wir also nachts nackt im Bad. Das gegenseitige Ganzkörperbalsamieren war dann das unerwartete Happy End – und das viele Vanilleeis, das aus Platzgründen vernascht werden musste.

Welche ungebetenen Gäste haben Ihre Kinder schon mit nach Hause gebracht, und wie haben Sie reagiert? Schreiben Sie mir gern an: familiennewsletter@.de . Einige Ihrer Antworten möchten wir gern veröffentlichen – auf Wunsch auch anonym.

Meine Lesetipps

Mit Corona habe ein Rückzug ins Häusliche stattgefunden, heißt es. Sich zu Hause einigeln ist ja auch schön, gerade jetzt im Herbst. Nur warum laden wir so selten andere zu uns ein? Das fragt sich unsere Autorin Katja Lewina in diesem lesenswerten Denkstück .

Nachts Kino im Kopf, morgens Blackout? Schlafexperte Michael Schredl erklärt, wie wir uns besser an Träume erinnern, was wir aus ihnen lernen können und wie wir sie beeinflussen. Ein interessanter Podcast, dem Sie auch zum Einschlafen lauschen können.

Lebt man länger, wenn man schlecht über alte Menschen denkt? Lesen Sie selbst! 

Das jüngste Gericht

Bei uns am Esstisch werden die Mahlzeiten durchaus mal kalt, bevor der erste Bissen genommen ist. Da kann die Vorausplanung strategisch noch so meisterhaft sein, Familienleben bedeutet immer auch Unvorhergesehenes. Umso besser, wenn ein Gericht warm und kalt angerichtet werden kann. So wie diese schnell gemachte samtige Bohnencreme, die mit frisch gerösteter Salsiccia und gepickelten Zwiebeln serviert wird. Fladenbrot zum Wischen nicht vergessen. Das Rezept führt zu Effilee.de, Heimat der Rezept-Datenbank  des SPIEGEL.

Mein Moment

Beim letzten Mal ging es bei mir um Alleinerziehende. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir diesmal die Nachricht einer Mutter, die sich über meine Darstellung geärgert hat.

Sie fragt sich: »Wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Thema Alleinerziehende um?« und beschreibt die enormen Herausforderungen, mit denen Alleinerziehende konfrontiert sind – sowohl finanziell als auch organisatorisch und emotional. Neben der hohen Armutsgefährdung (fast jede und jeder Zweite) und fehlender Unterhaltszahlungen durch viele Väter müssten sie oft Vollzeit arbeiten, »wenn man einen Arbeitgeber findet, der bereit ist, sich auf die Bedürfnisse Alleinerziehender einzulassen«.

Gleichzeitig fehle es an echter Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, während gesellschaftliche Strukturen sowie Vorurteile den Alltag zusätzlich erschweren – etwa durch unausgewogene Verantwortlichkeiten zwischen Müttern und Vätern.

Sie kritisiert außerdem, dass die Probleme Alleinerziehender oft (und auch bei mir) auf einfache Lösungen wie »bessere Organisation« reduziert würden. Sie wünscht sich stattdessen eine gesellschaftliche Debatte über nachhaltige Verbesserungen und mehr Solidarität. Ihr Appell: »Muss das so sein? Geht es nicht auch besser?«

Herzlich,
Ihr

Philipp Löwe 

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